Erwin Brunner aus Olang/Hamburg

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Erwin Brunner aus Olang/Hamburg

„Das Immer mehr! und Immer weiter! ist nicht gut. Wir sollten von einer quantitativen zur qualitativen Entwicklung kommen.“

 

 

 

Er spricht ruhig und gewählt, seine Sprache ist bilderreich. Und mit Bildern und Texten hat er sich ein Leben lang beschäftigt. Erwin Brunner lebt in Hamburg, er war Redakteur im Dossier der ZEIT, Textchef des ZEITMagazins, Stellvertretender Chefredakteur bei MERIAN und schließlich Gründungsmitglied von National Geographic Deutschland. Dort fungierte er fünf Jahre als Chefredakteur. Heute arbeitet er als freier Journalist, Autor und Wanderleiter.

Von Olang nach Hamburg. Wie kam es dazu?
Ich wollte einfach mehr von der Welt sehen. Nach der Matura an der staatlichen Lehranstalt für kaufmännische Beruf in Bruneck, damals noch als Handelsschule bezeichnet, ging ich nach Wien. Dort studierte ich Publizistik. Politikwissenschaft und Kunstgeschichte. Wien war damals für einen jungen Südtiroler die große, weite Welt. Nach Abschluss des Studiums begann ich als Redakteur beim Magazin profil. Im August 1980 kam ich dann durch Zufall zur ZEIT und arbeitete dort fünf Jahre im Dossier und danach im ZEITmagazin. Es war für mich eine Glückssträhne allererster Sorte. Anschließend öffneten sich mir die Tore zu Merian als stellvertretender Chefredakteur. Im Jahr 1999 ergab sich dann die Gelegenheit zur Gründung von National Geographic Deutschland. Ich gehörte zum Gründungsteam und war dort 16 Jahre, zuletzt fünf Jahre als Chefredakteur.

Eine echte Traumkurve…
Ja, in jedem Fall. Der Start von National Geographic Deutschland fiel allerdings in die beginnende tiefgreifende Krise des Medienmarktes. Die Printmedien gerieten in die Zange der elektronischen Medien und der Internetentwicklung. Ich musste bald erleben, dass die Arbeit eines heutigen Chefredakteurs ein Managerjob ist, der mit Journalismus oft leider sehr wenig zu tun hat. Es geht in erster Linie um Auflage, Kostenfragen, Personalabbau und weniger um Inhalte oder das Schreiben selbst. Mit 60 zog ich mich dann bewusst aus diesem Feld zurück, nachdem ich das Privileg gehabt hatte, mehr als 30 Jahre bei einigen der besten und interessantesten Zeitschriften Deutschlands zu arbeiten.

Womit beschäftigen Sie sich heute?
Ich arbeite als freier Autor und Wanderleiter. Gerade habe ich das Buch „Die Entdeckung der Dolomiten“ herausgegeben. Es ist die Neuauflage eines 1865 erschienen Reiseberichtes der Engländer Josiah Gilbert (1814 bis 1892) und George Cheetham Churchill (1822 bis 1906). Die englischen Gentlemen und ihre Ladys bereisten in den Sommern 1856 bis 1863 das alte Tirol, Friaul und Venetien und hielten ihre Eindrücke im Buch „The Dolomite Mountains“ fest. Ihren 600seitigen Reisebericht habe ich gekürzt und in ein lesbares Sprachbild gerückt. Das Buch ist eine kulturhistorisch sehr interessante Lektüre aus den allerersten Jahren des Tourismus in den Dolomiten, auch aus dem Pustertal sind recht amüsante Passagen zu finden.

Haben Sie einen besonderen Bezug zu den Bergen?
Ich bin am Berg aufgewachsen und wollte immer wissen, was hinter diesen Gipfeln ist. Damals ging man sonntags mit der Familie auf den Kronplatz, mein Vater erklärte mir die einzelnen Bergspitzen, und ich wurde immer neugieriger, was es hinter dem Horizont gibt. Berge sind für mich eine großartige Metapher für Freiheit. Für eine Freiheit, die dich nichts kostet, nur das Hinaufgehen und das Augenöffnen. Es ist eine Wahrnehmung der Welt, wie man sie nirgendwo anders so tiefgründig und zugleich so federleicht erleben kann…
Und zu den Dolomiten?
Für eine Reportage in Nordpakistan war ich als junger Journalist einmal im Karakorum und in der Gegend des Baltoro-Gletschers. Im Vergleich zu diesen Bergen kamen mir unsere Dolomiten wie ein kleiner Steingarten vor. Aber in ihrer Einzigartigkeit zählen die Dolomiten für mich zu den schönsten Bergen der Welt. Das Prädikat „Unesco-Weltnaturerbe“ ist ein klarer Auftrag, dieses Gebiet besonders zu schützen. Gleichzeitig haben wir absurde Verkehrslawinen am Grödner Joch und auf den Dolomitenpässen. Es ist höchste Zeit umzudenken: Verkehrslenkung, autofreie Tage, Shuttledienste wären da ein guter Ansatz. Viel wichtiger ist es aber, die Leute dazu zu bewegen, wieder zu Fuß zu gehen. Sie kommen doch eigens hierher, um diese großartigen Landschaften zu erleben, und nicht zum Autofahren!

Sie leben seit 1982 in Hamburg. Wie sehen Sie Südtirol und seine Veränderung, wenn Sie hierher kommen?
Veränderung ist die einzige Konstante der Welt. Schwierig wird es, wenn uns Entwicklungen überrollen, wie es heute durch die Globalisierung geschieht. Sie geht sehr schnell vor sich, auch in Südtirol. Hier gilt leider zu oft das „Immer mehr! Immer weiter!“. Im Tourismus, in der Landwirtschaft, beim Apfelanbau – und das kann auf Dauer nicht gut gehen. So ein schönes, reiches, g’scheites Landl sollte es doch schaffen, von einer quantitativen zur qualitativen Entwicklung zu kommen. Das impliziert Vieles und beginnt bei einem selber, wie man lebt, was man übermittelt, wie man sich mit und in der Natur verhält. Südtirol hat die besten Voraussetzungen, ein Musterland zu sein. Das kann aber nicht heißen, dass wir alles zubauen, zupflanzen und zuspritzen, bis wir darin ersticken. Wir alle können damit anfangen, es anders zu machen.
(IB)