Erdäpfel – Wie die Kartoffel ins Pustertal kam

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Erdäpfel – Wie die Kartoffel ins Pustertal kam

Unsere Puschtra Kuchl ist reich an Erdäpfel-Gerichten und alljährlich steht die heimische Knolle bei den “Puschtra Erdepflwochn“ im Pustertal im Mittelpunkt. Die Kartoffel ist heute aus unserer Speisekammer nicht mehr wegzudenken. Dabei war ihre Verbreitung hierzulande alles andere als selbstverständlich. Die Erdäpfel haben einen beschwerlichen Weg hinter sich, bis sie sich im Pustertal durchsetzen konnten.

Die Kartoffel ist von Amerika nach Europa gekommen, aber wie kam sie zu uns ins Pustertal? Einer, der den Weg der Kartoffel wissenschaftlich gesichtet hat, ist der Kulturwissenschaftler Dr. Andreas Rauchegger. „Die bis jetzt frühest bekannten Erwähnungen der Kartoffel für das historische Tirol sind im Speisebuch des Benediktinerinnen-Klosters Sonnenburg in St. Lorenzen von 1712 zu finden. Es gibt darin drei Hinweise auf eine Fastenspeise, nämlich ‘Ert Öpffl‘ mit Bohnen, ansonsten sind noch ‘Artuffelen‘ und ‘Tärtuffelen‘ erwähnt“, erklärt der Kulturwissenschaftler Andreas Rauchegger. Überregional vernetzte Klöster hätten bei der Verbreitung der Kartoffel eine wichtige Rolle, gespielt, berichtet Andreas Rauchegger. „Das Kloster war nicht nur reich begütert – sein Urbar reichte vom Gadertal bis zum Gardasee. Die Tatsache, dass die Nonnen vorwiegend aus dem Adel stammten, sorgte auch für rege Kontakte quer durch das Habsburgerreich und natürlich zu anderen Benediktinerklöstern in ganz Europa.“

Krise als Chance
Bei der Verbreitung der Kartoffel seien Not- und Krisenzeiten förderlich gewesen. „Der Ausbruch des Tambora-Vulkans hatte eine globale Klimakatastrophe und eine Hungersnot bewirkt. Das Jahr 1816 galt auch als ‘Jahr ohne Sommer‘. Vielerorts erwiesen sich die Erdäpfel als Retter vor dem Hungertod“, weiß Andreas Rauchegger. Um den Verbrauch des Getreides zu mindern seien schon vor 1787 und 1788 auch Ausfuhrverbote für Erdäpfel dazugekommen. „In einem Dekret von 1788 vom Kreisamt St. Lorenzen im Pustertal hieß es: ‘Da die Erdapfel so, wie das Getreide und die Hülßenfrüchte hierzulande vorzüglich zur gewöhnlichen Nahrung des Volkes dienen, so ist die Ausfuhr derselben nicht zu gestatten‘. Dazu kamen auch Belohnungen in Form von Geld für einen Zeitraum von zwei Jahren für den Anbau von Erdäpfeln“, hält Andreas Rauchegger fest. Bei der Verbreitung der Erdäpfel hätten sicher auch fahrende Wanderhandwerker, Dörcher und dergleichen eine wichtige Rolle gespielt, recht früh sei die Kartoffel  – vielleicht durch Schwabenkinder –  in den Vinschgau gekommen. „Oft wird eine Verbreitung von West nach Ost vorgeschlagen, wobei sie dann wieder eher sporadisch auftaucht, 1802 in Rodeneck, aber ja schon 1712 in der Mitte des Pustertales. Für das östliche Pustertal ist auch der Raum Kärnten in Betracht zu ziehen. An Sexten sehen wir, dass sie aus dem Süden kam“, berichtet Andreas Rauchegger.

Die Kartoffel bahnt sich ihren Weg
Das Kartoffelmehl sei schon vor 1800 vielfach als Getreideersatz in der Küche eingesetzt worden. Für die Kartoffel selbst würden sich die Quellen erst nach 1750 mehren, als diese Eingang in die Küche in Form von Rezepten findet. Nach und nach seien Pell- und Bratkartoffel, Kartoffelkuchen und Kartoffelbrühe zu finden. Vielfach sei die Kartoffel vorwiegend an die Schweine verfüttert worden, sagt Andreas Rauchegger, der noch einen Grund dafür nennt, dass die Kartoffel von den Bauern nicht gegessen wurde: „Die Kartoffel wurde als Pflanze in der Bibel nicht erwähnt, deshalb galt sie als Saat des Bösen und die Bauern wollten sie nicht anbauen. Im Jahre 1802 haben dann Bauern am Eingang des Pustertals, in Rodeneck, begonnen Erdäpfel feldbaumäßig anzubauen. Mühlen in Taufers ist eine der ersten Gemeinden, die diesem Beispiel gefolgt sind. Ab 1820 findet man vermehrt Erdäpfel in bäuerlichen Inventaren im südlichen Tirol. Auch ein Eintrag von 1837 vom Gerichtsschreiber Leopold Schwärzler aus Sillian, der sich über die Zubereitung der Eardêpfl beklagt, zeugt von der zunehmendenVerbreitung der Hackfrucht“, berichtet Andreas Rauchegger.

Pioniere im Kartoffelanbau
Für die Akzeptanz und Verbreitung der Kartoffel hätten auch Kartoffel-Pioniere einen erheblichen Beitrag geleistet. Einer davon sei Ernst Graf von Wolkenstein gewesen, der neben Empfehlungen für die Lagerung der Kartoffel auch auf die Notwendigkeit der Düngung einging sowie die Auswahl einer passenden Sorte beobachtete, weiß der Historiker und führt aus: „Aus diesen Aufzeichnungen gibt es um die 1840er-Jahre 22 Sorten von Speisekartoffeln im historischen Tirol. Der deutschen Archäo-Botanikerin Udelgard Körber-Grohe zufolge gab es allerdings schon um 1770 ungefähr 40 Kartoffelsorten in Mitteleuropa.“ Eine Geschichte aus Sexten, die dem Ortschronisten Rudolf Holzer erzählt wurde, zeuge davon, dass die Kartoffel aus der Provinz Belluno ins Hochpustertal, nach Sexten, gekommen war. Eine andere Anekdote hingegen stammt aus Innervillgraten in Osttirol. Der Kirchkoula, einer der ersten heimischen Bauern, der Erdäpfel angebaut habe, hat, aus Sorge davor, das Feld unfruchtbar zu machen, die Erdäpfel nicht in der Egarte (als Wiese oder Acker genutztes Feldstück) gesät, sondern sie in der Ketlogge (Kotlacke – eine Stelle, wo das Spül- und Restwasser ausgeschüttet wird) gesetzt. Ob sie gewachsen sind oder wie reichhaltig die Ernte war, wisse man allerdings nicht, erzählt Andreas Rauchegger.

Organisierter Anbau und Verkauf
1838 sei der Verein k.k.Landwirtschaftsgesellschaft von Tirol und Vorarlberg gegründet worden, mit dem Ziel, landwirtschaftliches Wissen in alle Winkel des Landes zu vermitteln. Nacheinander seien dem Hauptverein Filialvereine beigetreten: Das Pustertal kam 1840 dazu, erklärt Andreas Rauchegger. Der Kulturwissenschaftler präzisiert: „Zu den wichtigsten Schritten nach der Gründung gehören unter anderen die Vereinbarung von 1841, ein Herbarium agrarium mit allen ‘vaterländischen Ackerbaupflanzen und Cerealien‘ anzulegen und sämtliche Ackerbaugeräte und –werkzeuge zu dokumentieren. Es wurden Anbauversuche, spezielle im Vereinsprobegarten, aber auch allen zugehörigen Filialvereinen unternommen. Sehr ehrgeizig war der Filialverein in Bruneck, der von Beginn an ein großes Augenmerk auf den Kartoffelanbau legte. Bemerkenswert ist außerdem die Einführung des Häufelpfluges im Pustertal im Jahre 1844.“ Um die 1880er-Jahre sei es dann zur Gründung der Genossenschaften gekommen – 1913 die erste Saatbaugenossenschaft in Toblach mit 12 Mitgliedern, die vermehrt Erdäpfel, Getreidesorten und Gräser anbauten. Als Vorreiter bezeichnet der Kulturwissenschaftler Andreas Rauchegger den Toblacher Franz Strobl, der mit Gleichgesinnten im Hochpustertal den Kartoffelanbau mit Kunstegartwirtschaft eingeführt habe und sehr früh schon eine gemeinschaftliche Lagerung sowie einen koordinierten Absatz empfahl. Dieses Vorhaben sei allerdings daran gescheitert, dass keine unabhängige Bauerngenossenschaft gegründet werden konnte. „Die kontrollierte Vermehrung und den zentralisierten Absatz sowie ein Kartoffellagerhaus in Bruneck wurden schließlich 1938 vom Consorzio Agrario – Abteilung für Saatkartoffel – der Provinz Bozen geschaffen. Nach Kriegsende 1946 wurde dann die Pustertaler Saatbaugenossenschaft gegründet. Das Anbaugebiet  für die Saatgutvermehrung reicht heute von St. Sigmund über Bruneck, Reischach, Olang, Ahrntal, Rasen/Antholz bis nach Niederdorf“, hält Andreas Rauchegger fest.

Buch und Ausstellung
„Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Auseinandersetzung im Buch ‘eardepfl – soni – patate. Zur Kulturgeschichte der Kartoffel im historischen Tirol und seinen Nachbarregionen‘ und der aktuellen Ausstellung im Landwirtschaftsmuseum Brunnenburg bei Meran haben der Projektleiter und Burgherr Universitäts-Dozent Dr. Siegfried de Rachewiltz, weiters Dr. Christiane Ganner aus Meran und ich, versucht der Geschichte der Kartoffel auch hierzulande Aufmerksamkeit zu schenken. Durch die Auswertung bisher unbeachteter Quellen ist es gelungen, die Verbreitungsgeschichte der Kartoffel im Historischen Tirol zu rekonstruieren und die Entwicklung ihres Anbaues und ihrer Nutzung in der Gegenwart aufzuzeigen“, sagt Andreas Raucheegger. Die Ausstellung kann noch bis zum 4. November auf der Brunnenburg bei Meran von 10 bis 17 Uhr besucht werden. (TL)