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Nachhaltiger Tourismus – Na.tour.Konferenz im Gadertal

Im Gadertal hat eine Gruppe junger Menschen eine Suche gestartet, um neue Wege für eine nachhaltige Zukunft im Tourismus zu finden. Bei der Na.tour.Konferenz in St. Vigil sinnierten internationale und südtiroler Pioniere über die Natur und den modernen Menschen.

Noemi Call aus St. Vigil in Enneberg hat es an die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft nach Bonn verschlagen. Dort studiert die Hotelierstochter “Philosophie, Kunst und Social Entrepreneurship“. Ein Seminar über die Resonanztheorie des deutschen Soziologen Hartmut Rosa hat in Noemi eine Frage formuliert, die sie nicht mehr losgelassen hat und der sie auf den Grund gehen wollte. „Wie verbindet sich der moderne Mensch mit der Natur und welche Rolle spielt der Tourismus darin?“ Durch diese Frage hat Noemi die Idee zur Na.tour.Konferenz entwickelt, die sie gemeinsam mit acht gleichgesinnten Studenten in St. Vigil umgesetzt hat. Vom 4. bis zum 7. Oktober wurde im Excelsior Dolomites Life Resort durch verschiedene Referate, eine Kunstausstellung und mehrere Workshops diese Frage beleuchtet.

Nachhaltiger Alpentourismus
„Bei der Na.tour.Konferenz wollten wir dazu einladen, gemeinsam die Vision eines nachhaltigen Alpentourismus zu entwickeln und diese in die Tat umzusetzen. Es sollten gemeinsam die Zukunftspotentiale des Alpentourismus in Südtirol gesichtet werden. Die Philosophie diente uns dabei als Weitblick und die Kunst eröffnete uns Erfahrungsräume. Wir wollten diese Disziplinen anders zugänglich machen, indem wir sie auch außerhalb des akademischen Kontexts betrachten und uns fragen, was haben Philosophie und Kunst mit nachhaltigem Tourismus zu tun? Wie sieht die Zukunft des Alpentourismus aus? Ist Nachhaltigkeit entscheidend, um den Menschen im heutigen Tourismus zu berühren? Die Sprecher der Konferenz haben den Tourismus aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Qualitäten, die wir schätzen, sind Gefühl, Ausblick, Verbundenheit und Zukunftsfähigkeit“, erklärte Noemi  Call.

„Besteigen wir die Zukunftsberge!“
Auftakt der Konferenz war eine Vernissage zur begleitenden Kunstausstellung „Altavia Garage“ am 4. Oktober mit einem Vortrag des Special Guest Hartmut Rosa. Zum Startschuss am 5. Oktober haben Marina Crazzolara, die Gebietsobfrau des Gadertales im HGV Südtirol und Hotelier Werner Call des  Excelsior Dolomites Life Resort, sowie der Philosoph Thomas Schmaus referiert, am 6. Oktober waren Stefan Fauster und Michil Costa mit ihren Referaten zu Praxisbeispielen aus den Hotelbetrieben mit dabei. Anschließend fand ein Künstlerworkshop statt. Am 7. Oktober hielt der Sozialwissenschaftler Davide Brocchi zwei Referate mit den Titeln: „Aufbruch ins Unbekannte“ und „Besteigen wir die Zukunftsberge!“

„Hinterfragt die Produkte“
Stefan Fauster und Michil Costa gingen der Frage nach, wie ein nachhaltiger Hotelbetrieb funktionieren kann. Die beiden Referenten stellten jeweils ihre Hotelbetriebe vor, die gemeinwohlzertifiziert sind. Stefan Fauster lebt und bewirtschaftet mit seiner Familie das Hotel und den Restaurantbetrieb Drumlerhof in Sand in Taufers, wo ein besonderes Augenmerk auf die Ernährung gelegt wird. In seinem Vortag „Iss dich glücklich“, machte er auf die Schattenseiten der heutigen Lebensmittelindustrie aufmerksam, stellte seinen Betrieb und sein Wirtschaften vor und zeigte auch Wege auf, wie ein Hotelbetrieb in diesem System anders arbeiten kann. „Wir sind 2013 zur Gemeinwohlökonomie dazu gestoßen, wir befinden uns auf diesem Weg, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, sagte Stefan Fauster. Im Hotel wolle der Gast die Lebensmittel auch erleben, das bedeute, dass es wichtig sei zu wissen, wo diese herkommen. Ausschlaggebend sei im Jahreskreislauf zu ernten, Gemüse komme von regionalen Bauern und vom  eigenen Garten, das Fleisch vom einheimischen Bauern und Herbizide wurden schon vor Jahren durch Mikroorganismen ersetzt, erzählt Stefan Fauster. Dazu setze der Besitzer des Drumlerhofes auf Sensibilisierung der Gäste: „Ich erkläre den Gästen auch, warum wir es bei uns so machen. Der Gast kann am Gemeinwohl teilhaben und das macht glücklich.“ Drei Prinzipien nannte Stefan Fauster am Ende seines Vortrages. „Hinterfragt, wo die Produkte herkommen, gebt ihnen den richtigen Wert, denkt nach und vor allem seit mutig. Wir müssen nicht dem Trend nachrennen.“

„Investiert in Menschlichkeit“
Der Vortrag von Michil Costa stand unter dem Motto „Liebe und tue das, was du willst.“ Michi Costa führt zusammen mit seiner Familie das Hotel La Perla und das Berghotel Ladinia in Corvara, und das Albergo Posta Marcucci in Bagno Vignoni, im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie. Michil Costa sprach über Profit im Tourismus und über Werte, wie Solidarität, Würde und ökologische Nachhaltigkeit. „Touristen sind heute im Freizeitstress und das führt dazu, dass auch wir, die im Tourismus arbeiten, gestresst sind, der Gast soll sich ja nicht langweilen. Dabei vergessen wir die Schönheit in uns und geraten aus dem Gleichgewicht“, sagte Michil Costa. Es werde viel zu viel in Zahlen und nicht mehr mit dem Herzen gedacht, bedenkt der Hotelier, der auch über die Entfremdung und Scheinwelt im Tourismus sprach. „Wir müssen Grenzen setzten, so kann es nicht mehr weitergehen.“ Der Gast wolle geliebt werden, es würden nicht die Länge des Schwimmbades oder die Anzahl der Betten zählen. Mehr Quantität heiße nicht, mehr Qualität, gibt er zu bedenken. Sein Appel richte sich an die Jugend, die aufstehen und mutig einen anderen Weg einschlagen solle und in Menschlichkeit  investieren solle. „Wir müssen bei uns selber anfangen, unsere Generation hat versagt“, sagte Michil Costa abschließend.

Puschtra: Herr Schmaus, Ihr Referat trägt den Titel: „Mensch, echt schön hier!“ Wie nachhaltiger Tourismus den Menschen berührt. Darin nennen sie den Umgang mit der Erwartungshaltung der Gäste als eine besonders wichtige Herausforderung! Warum ist das so?

Schmaus: Nun, ideal wäre es ja, wenn die Erwartung der Gäste mit dem übereinstimmt, was die Gastgeber ihnen bieten  möchten. Aber dieses Ideal ist nicht so leicht zu erreichen. Oft läuft es darauf hinaus, dass eine der beiden Gruppen zurückstecken muss. Meistens sind das dann die Gastgeber – wenn sie keine schlechte Bewertungen und weiterhin genügend Buchungen haben wollen. Nachdem die Erwartungshaltung von Touristen eher größer als kleiner wird, wächst die Gefahr, dass sich diejenigen, die in der Tourismusbranche tätig sind, regelrecht verbiegen müssen, um es ihren Gästen recht zu machen.

Warum ist diese Herausforderung im nachhaltigen Tourismus noch größer?

Schmaus: Weil ich glaube, dass dabei nicht nur die Gastgeber, sondern auch die Gäste an ihrer Erwartungshaltung arbeiten müssen. Nachhaltiger Tourismus kann sich erst einmal – scheinbar – weniger erlauben als konventioneller. Dafür erhält man aber etwas, was diesen Verzicht unbedingt wettmacht. Wer das erfahren hat, wird es nicht mehr missen wollen. Aber erst einmal muss man ja dahin kommen, sich darauf einzulassen. Das ist dann auch eine Frage der Werbung. Und der Offenheit. Auf der anderen Seite kann man allerdings auf diese Weise auch andere Menschen gewinnen. Die Zahl derer, die nachhaltig leben möchten, wächst von Jahr zu Jahr. Und dazu gehört es natürlich dann auch, nachhaltig zu verreisen. Im Übrigen: Nachhaltige, nachklingende Erfahrungen wollen letztlich ohnehin alle Menschen machen.

Sie sprechen es an: Menschen möchten echte und nachklingende Erfahrungen. Was erzeugt solche Erfahrungen im Menschen?

Schmaus: Etwas, das man nicht herstellen kann. Fast hätte ich gesagt: leider. Aber als Philosoph sage ich im Gegenteil: Zum Glück kann man solche Erfahrungen nicht produzieren und auf Knopfdruck auslösen. Sie müssen sich ergeben. Ich denke, wir kennen das alle sehr gut. Die Erfahrungen, die uns nachhaltig berührt haben, die uns bewegt haben und lange noch nachwirken, ja tragen, die hinterlassen ein Gefühl von Dankbarkeit. Weil uns mehr oder weniger bewusst deutlich wird, dass wir sie selbst nicht ,gemacht‘ haben. Sie wurden uns geschenkt. Ich will dieses Gefühl gar nicht überhöhen. Es ist eigentlich eine Grunderfahrung des Lebens, wofür uns heute aber das Verständnis etwas abhanden gekommen ist, weil wir ja so viel anderes im Griff haben und herstellen können, wenn wir es haben wollen.

Sie sprechen von einem (scheinbaren) Widerspruch: Dass es Menschen im Feriengebiet ‘echt schön‘ haben wollen, aber dabei etwas suchen, was für Einheimische ganz ‘schön falsch‘ erscheint. Was hat es damit auf sich?

Schmaus: Das hat mit der Erwartungshaltung zu tun, von der wir vorhin schon gesprochen haben. Häufig ist es ein bestimmtes Klischee, das Touristen suchen und das eigentlich im Alltag vor Ort gar nicht mehr lebt, ja manchmal sogar überhaupt noch nie so praktiziert wurde. Man will es aber trotzdem unbedingt wiederfinden und bekommt es dann nicht selten auch als Inszenierung vorgesetzt. Was für Einheimische dann falsche Folklore ist, aufgesetzt und mehr oder weniger gern vorgespielt, das kann dann für manche Gäste wie das verlorene Paradies erscheinen. Ob es ihnen aber wirklich etwas gibt, im Sinne einer echten, tiefen Erfahrung, das bezweifle ich. Ich will das aber gar nicht einseitig kritisch angehen. Denn ich glaube, wenn man eine echte Erfahrung macht, dann braucht man und will man die flachen Erlebnisse gar nicht mehr.

Hat Südtirol genügend Potenzial, um im nachhaltigen Tourismus eine herausragende Rolle zu spielen?

Schmaus: Auf jeden Fall. Soweit ich das als deutscher Philosoph beurteilen kann. Aber ich reise ja auch selbst und ich komme aus Bayern und damit aus einer Gegend, die traditionell beim Urlaub in den Süden orientiert ist. Für meine Eltern ist auch heute noch Südtirol ein Sehnsuchtsort. Und da wären wir schon bei etwas wichtigem: die enge Verbindung, die Beziehung, die häufig zwischen Gastgebern und Gästen aufgebaut und jahrelang gepflegt wird, ist meines Erachtens eine der großen Stärken Südtirols. Man kommt gerne wieder. Wofür natürlich vor allem die eindrucksvolle Bergwelt verantwortlich ist. Da muss man gar nicht „mehr“ draus machen, sondern eher aufpassen, sie zu bewahren und einen Zugang dazu zu eröffnen, der die Berge „sein“ lässt, damit sie wirken können, also gewissermaßen mit eigener Stimme reden. Was gehört noch dazu? Die kleinteilige Infrastruktur, die immer schon eine Tendenz hatte, sich dem Pauschaltourismus zu entziehen, ein starkes Bewusstsein für das Regionale, ohne sich abzuschotten und nicht zuletzt eine lange gelebte Widerborstigkeit gegen den Mainstream … Das sind meines Erachtens beste Voraussetzungen dafür, die große Chance des nachhaltigen Tourismus zu ergreifen.

Was würden Sie sich an Nachhaltigkeit wünschen, wenn Sie in Südtirol Urlaub machen?

Schmaus: Eine Natur, die nicht hinter Straßen, Bahnen, Pisten und Bauten verschwindet, sondern mit der Kultur in Einklang steht. Menschen mit offenen Armen, die ihre Region authentisch repräsentieren. Essen, für das ich mir Zeit nehmen will. Bräuche und Geschichten, die mich in das Beziehungsnetz dieses wunderbaren Land verwickeln. Dann würde ich mir allerdings früher oder später die Frage stellen, ob ich nicht doch gekommen bin, um zu bleiben.