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Streichelzoo und Fotopoint

Die Verurteilung zu Schadensersatz eines Nordtiroler Bauerns, dessen Kuh eine Wanderin tödlich verletzt hatte schlägt auch in Südtirol hohe Wellen. Unverständnis und Unsicherheit reichen sich jetzt die Hand: Wie soll es mit der Almwirtschaft weitergehen? Im Interview mit dem Pustertaler-Bezirksobmann des Südtiroler Bauernbundes Anton Tschurtschenthaler und Bauern aus dem ganzen Tal hat der Puschtra nach Antworten gesucht.

Der Nordtiroler Bauer wurde im Zivilprozess zu 490.000 Euro Schadensersatz verurteilt, weil seine Kühe eine Urlauberin tödlich verletzt hatten. Der Bauer hatte auf Hinweis- und Warnschilder gesetzt, was aber als Sorgfaltspflicht des Tierhalters nicht ausreichend war. Auch einige Bauern aus dem Pustertal setzen auf die Mutterkuh-Haltung und treiben ihr Vieh im Sommer auf die Alm. Im Pustertal sind es an die 250 Betriebe, die diese Wirtschaftsform gewählt haben und es werden laut dem Pustertaler Bezirksobmann Anton Tschurtschenthaler immer mehr. Die Bauern fragen sich nun, wie sie ihre Almen auch in Zukunft sicher bewirtschaften können und wenn etwas passiert, was dann?

Hermann Stocker. „Die Zusammenarbeit aller und eine Versicherung könnten eine Lösung sein.“
Franz Oberhollenzer: „Die Tiere überhaupt nicht mehr auf die Alm zu treiben wäre ein großer Schaden.“

PROBLEM HUND
„Meine erste Reaktion, als ich von dem Urteil hörte war einfach Zorn. Da frage ich mich als Bauern schon, ob ich noch eine Alm bewirtschafte“, sagt Franz Oberhollenzer aus Mühlen in Taufers. Für ihn sei einfach unerklärlich, wie ein solches Urteil gefällt werden konnte. Der Senior-Bauer des Zehenter Hofes in Mühlen hat selbst ein Leben lang mit Viehwirtschaft zu tun gehabt. Als Knabe sei er neun Jahre lang im Zillertal Schafhirte gewesen und später ein Leben lang Hofbesitzer, betreibt heute noch gemeinsam mit seinem Sohn den Hof mit Milchwirtschaft und treibt seine Kühe im Sommer auf die Kofleralm in Rain in Taufers zum Almen. Der Bauer kann so einige Unterschiede zu früher festhalten. So etwa habe er vor 50 Jahren tagelang keinen Wanderer gesehen und Hunde überhaupt nicht. „Heute zähle ich manches Mal mehr Hunde als Menschen und diese sind für die Kühe ein Problem. Ich bin kein Hundegegner, aber die Handhabung der Hunde auf den Almen muss sich einfach ändern“, hält Franz Oberhollenzer fest. Die Hunde seinen der Auslöser für den Konflikt mit den Kühen, vor allem mit den Mutterkühen, die ihre Kälber beschützen. Laut dem Senior-Bauer sollte der Gast besser ohne Hund wandern oder zumindest den Hund anleinen. Dazu komme das Weidevieh nicht als „Streicheltiere“ zu behandeln. Überhaupt lasse der Respekt für das Eigentum eines anderen und für die Natur heute zu wünschen übrig. Nachholbedarf sieht Franz Oberhollenzer auch in der Aufklärung der Gäste über die Gegebenheiten einer Almwirtschaft. Dies sollten sich Bauern und Tourismus gemeinsam zur Aufgabe machen. Die Tiere überhaupt nicht mehr aufzutreiben sei der größte Schaden für die Almwirtschaft. Die Almen würden „verwildern und verwachsen“ und auch die „Sehnsucht der Gäste wird dann dahin sein“, prognostiziert der Senior-Bauer.

Christian Steinwandter: „Die Eigenverantwortung liegt bei den Wanderern. Wenn der Bauer dafür verantwortlich ist, werden die Probleme riesengroß.“

SPERRGEBIET ALM
Das Gebiet durch einen Zaun zu sichern ist für Franz Oberhollenzer ein Nonsens. „Eine Einzäunung ist überhaupt nicht möglich“, sagt der Senior-Bauer. Die Kuh müsse zu allen Gebieten und vor allem auch zum Wasser Zugang haben, ein vielfältiges Gelände könne nicht eingezäunt werden, bekräftigt der Senior-Bauer und erhält Rückendeckung vom Ortsobmann von Sand in Taufers Hermann Stocker. „Überall einen Zaun aufzustellen hat überhaupt keinen Sinn. Laut Stocker sei dieses Problem durch eine geeignete Versicherung zu lösen und durch eine Zusammenarbeit aller Beteiligten, die auch „wirklich zusammenzuarbeiten und nicht nur davon zu reden“, betont der Ortsobmann. Hermann Stocker ist einer der 16 Mitglieder der Agrargemeinschaft der Jagdhausalm im Osttiroler Defreggental, die zu einer der ältesten Almen Österreichs gehört. Alle Mitglieder stammen aus Südtirol. Der Ortsobmann könne sich etwa vorstellen, dass die Gebühren für die Ortstaxe, die von den Tourismusvereinen eingehoben werden, für eine Versicherung in diesem Bereich verwendet werden. „Wir als Bauern fragen uns, warum wir nach so vielen Jahrhunderten Viehwirtschaft, die kulturell so gewachsen ist, eine eigene Versicherung machen müssen, nur weil die Almen jetzt von so vielen Gästen und Hunden besucht werden. Das Land soll sich um so eine Versicherung kümmern“, ist Franz Oberhollenzer der Meinung. Der Ortsobmann appelliert an die Wanderer, bei denen viele ja nicht zum ersten Mal unterwegs sind, sich mit Hausverstand zu verhalten. „Der Hund soll Zuhause gelassen werden, weil er das Vieh anzieht. Die Kühe sollen in Ruhe gelassen und nicht mit Fotos provoziert werden“, sagte Hermann Stocker.

EIGENVERANTWORTUNG ADE
Ein Kopfschütteln und Unverständnis waren die Reaktionen von Christian Steinwandter aus Toblach. Der Bauer betreibt die Steinbergalm im Silvestertal und hat im Sommer an die 30 Mutterkühe auf der Alm. „So wird den Menschen die Eigenverantwortung genommen. Es kann nicht sein, dass heute jemand über fremden Grund und Boden wandert und die Verantwortung an andere abgibt, wenn es zu einem Unfall kommt“, sagt Christian Steinwandter. Ihm sei bis jetzt noch nichts Derartiges passiert, obwohl der Bauer beobachtet, dass das Vieh auf Gäste mit Hunden anders reagiere, als auf Wanderer ohne Hunde. Auf seiner Alm versucht der Bauer die Gäste über die Mutterkuh-Haltung aufzuklären, auf Hinweisschildern weist er darauf hin, wie sich der Wanderer zu verhalten hätte, wenn Mutterkühe auf der Weide sind. Vielfach würden die Gäste auf die Aufklärungsversuche mit Unverständnis reagieren, sagt Steinwandter, der hofft, dass so ein Urteil noch abgewendet werden kann. „Die Eigenverantwortung liegt bei den Wanderern. Wenn der Bauer dafür verantwortlich ist, werden die Probleme riesengroß, denn es geht um die eigene Existenz und gleichzeitig wird meine Arbeit sinnlos.“ Einerseits hofft Steinwandter, der auf seiner Alm auch eine kleine Aufschank betreibt, auf Gäste und andererseits würde das Risiko zu groß werden. Dieser Widerspruch müsse entkräftet werden.

INTERVIEW MIT DEM BEZIRKSOBMANN DES SBB

Puschtra: Herr Tschurtschenthaler, wie beurteilen Sie das Urteil im Zivilprozess nach einer tödlichen Kuhattacke in Nordtirol?

Der Pustertaler-Bezirksobmann
des Südtiroler Bauernbundes Anton Tschurtschenthaler.
Anton Tschurtschenthaler: Es ist für die Grundbesitzer ein erschreckendes Urteil, auch wenn es noch nicht alle Instanzen durchlaufen hat. Die Grundbesitzer werden in Zukunft viel vorsichtiger werden und schauen, wer ihren Grund betritt. Sollte dieses Urteil auch in weiteren Instanzen eine Verurteilung in diesem Ausmaß haben, wird es zu weitreichenden Folgen zwischen Landwirtschaft und Tourismus kommen. Für uns als Bauern und Grundbesitzer ist das Urteil damit auch sehr bedenklich, weil die Gefahr entsteht, dass jeder zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Diese Entscheidung hat auch in Südtirol großes Aufsehen erregt. Müssen unsere Bauern Angst um ihre Existenz haben?
Natürlich kann es immer wieder, speziell auf einer Alm und speziell mit der Mutterkuhhaltung, zu einem Vorfall kommen. Was aber noch schlimmer ist, sind die viel zu vielen Hunde, die unterwegs sind. Hunde gehören auf den Almen zu verbieten, das wäre ein erster Schritt. Der Besitzer hat eine Haftpflichtversicherung für seinen Betrieb, aber es kann nicht sein, dass die Eigenverantwortung nicht mehr zählt. So muss man wirklich Angst haben und überdenken, wie wir uns in Zukunft verhalten werden. Vor allem Privatalmen könnten sich jetzt überlegen Wanderwege zuzusperren, weil der Grundbesitzer diese Verantwortung nicht alleine tragen kann.

Wo bleibt eigentlich die Eigenverantwortung der Wanderer?
Heute braucht es immer einen Schuldigen, was sehr traurig ist. Die Eigenverantwortung müsste die Gerichtsbarkeit wieder mehr in den Fokus rücken. Das sind fast schon Zustände, wie man sie aus Amerika kennt. Das ist schlimm und jeder wird vorsichtig. Wenn es hier keine Regelung gibt, werden deshalb in Zukunft sicher Durchgangsverbote oder ein Absperren die Folge sein.

Was ist Ihrer Meinung nach in so einem Fall eine gute Lösung?
Die Lösung müsste sein, dass auch ein Richter einsieht, dass die letzten 100 Jahre so gewirtschaftet wurde und es auch in Zukunft so bleibt. Wir wollen uns auch nicht aus der Schuld stehlen, denn ein Grundbesitzer trägt auch Mitschuld, wenn es vorsätzlich zu einem Schaden kommt – aber zu allem können wir nicht stehen. Der Wanderer, der die Almen besucht ist mehr in die Pflicht zu nehmen, natürlich mit Informationen, Broschüren, Folder usw. die Lösung ist, es muss ein Miteinander zwischen Landwirtschaft, Tourismus und Wanderern geben und jeder muss eine Mitverantwortung übernehmen. Eine Lösung wäre auch hier, – wie beim Fahren mit dem Mountainbike – Rahmenabkommen zwischen Tourismus und Bauern zu schaffen, wo es einen Betreiber gibt, der versichert sein muss. Wir werden jetzt nachschauen, ob die Landesversicherung hier ausgeweitet werden kann und auch solche Fälle mitversichert. Wir müssen die Bauern dahingehend unterstützen, weil wir wollen, dass die Almen weiterhin offen bleiben und bewirtschaftet werden. Es geht nicht, jemanden zum Schluss auf der Schuld sitzen zu lassen, das müssen wir vermeiden.

Gibt es im Pustertal Mutterkuh-Haltung auf den Almen?
Es gibt im Pustertal an die 250 Mutterkuh Betriebe. Es ist eine Form der Bewirtschaftung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt, vor allem für Bauern mit Nebenerwerb. Es ist auch bei uns im Pustertal eine gängige Praxis, dass die Mutterkühe im Sommer auf die Almen geschickt werden.

Reichen Hinweis- und Warnschildern Ihrer Meinung nach aus?
Es werden auch bei uns Hinweisschilder aufgestellt, deshalb ist diese Entscheidung des Richters nicht verständlich. Was soll der Grundbesitzer noch machen? Er weist darauf hin und hat in Folge nur noch die Möglichkeit abzusperren. Alles einzäunen mag in der Theorie und in einem Gerichtssaal gut klingen, aber in der Praxis ist es nicht möglich kilometerweise Wanderwege abzusperren. Die freie Natur soll auch frei bleiben. Hinweisschilder, wie ich mich zu verhalten habe, müssen ausreichen, so wie es auf der Straße geregelt ist: Es sollte der bestraft werden, der sich nicht daran hält.

Wie soll sich ein Wanderer richtig verhalten, wenn er auf den Almen mit Kühen aufeinandertrifft?
Man kann davon ausgehen, dass kein Vieh einem Menschen etwas tut, wenn es nicht provoziert wird. Speziell bei der Mutterkuh-Haltung ist es so, dass die Kühe ihre Kälber schützen und von Hunden oft provoziert werden. Hunde haben in Almen nichts verloren, es gibt aber natürlich auch Wanderer ohne Hunde. Wenn man zum Beispiel auf einem Wandersteig mit einer Kuh zusammentrifft, dann soll sie der Wanderer umgehen und nicht versuchen zu verjagen. Die Kuh fühlt sich in dieser Freiheit sehr wohl und will nicht gestört werden, deshalb sollte der Wanderer alles unternehmen dass das Vieh nicht gestört wird. So braucht auch niemand Angst zu haben, dass sich die Tiere wehren. Die Mutterkuh hingegen beschützt ihr Kalb deshalb sollte hier auch auf Fotos usw. verzichtet werden. Bis heute ist bei uns kaum etwas passiert, mit der vermehrten Mutterkuh-Haltung wird es gefährlicher.

Was raten Sie den Bauern in Ihrem Bezirk?
Ich rate ihnen im Moment nicht über zu reagieren. Wir werden gemeinsam nach einer Lösung suchen und von unserer Seite aus erst mal die rechtliche Situation überprüfen und schauen, ob man nochmal eine Versicherung, über die bereits bestehende, drüber stülpen kann. Die Almen abzusperren ist die letzte Option. Wenn es allerdings keinen anderen Ausweg gibt und die Unterstützung nicht da ist, dann wird es passieren, dass Almen in einigen Orten abgesperrt werden. (TL)