Könnt ihr euch vorstellen einem Kind für eine bestimmte Zeitein zweites Zuhause zu geben? Dann meldet euch als Pflegefamilie!
Im Pustertal gibt es derzeit 19 Kinder und Jugendliche, die in einer Pflegefamilie zeitweise oder über einen längeren Zeitraum leben. Claudia Gasteiger vom Team „Familiäre Anvertrauung“ der Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Pustertal und Pflegevater Walter Gualco berichten über ihre Erfahrungen.
Frau Gasteiger, Sie arbeiten im Team „Familiäre Anvertrauung“ der Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Pustertal als Sozialassistentin. Welche Aufgaben haben Sie innerhalb dieses Arbeitsbereiches?
Claudia Gasteiger: Unser Team besteht aus einer Sozialpädagogin, einer Psychologin der Familienberatung Fabe und mir. Eine wesentliche Aufgabe von uns, ist die Suche nach Pflegefamilien oder Pflegepersonen, die Kinder in vollzeitiger oder teilzeitiger Anvertrauung aufnehmen. Wir informieren diese Personen erstmals unverbindlich über den Verlauf einer Anvertrauung und lernen sie, wenn sie anschließend die Bereitschaft für eine Anvertrauung erklären, in Gesprächen und durch Hausbesuche besser kennen. So finden wir heraus, ob ein Kind zu ihnen oder in ihre Familie passen könnte.
Derzeit befinden sich im Pustertal 19 junge Menschen in einer Pflegefamilie. Welche Voraussetzungen muss eine Familie denn haben, um als Pflegefamilie in Frage zu kommen?
Melden könne sich Einzelpersonen oder Paare, verheiratet oder nicht verheiratet, mit und ohne Kinder – grundsätzlich kann sich jeder melden! Was uns allerdings wichtig ist, ist eine grundlegende Offenheit in Bezug auf die Bedürfnisse der Kinder oder Jugendlichen und ihre Erfahrungen, die sie mitbringen. Wichtig ist auch, dass die betreffenden Personen Zeit haben und den Kindern auch Zuwendung schenken. Bei der vollzeitigen Anvertrauung ist essenziell, dass der Kontakt zu den Herkunftseltern aufrecht erhalten bleibt und gefördert wird, weil das Ziel der Anvertrauung die Rückführung der Kinder in die Ursprungsfamilie ist. Damit das gelingt, ist der regelmäßige Kontakt von Kindern zu ihrer Herkunftsfamilie vorgesehen. Alle weiteren Fragen werden im Rahmen der Einschätzung des Fachteams Familiäre Anvertrauung mit den Pflegeeltern besprochen und geklärt.
Was sind die Gründe dafür, dass ein Kind oder ein junger Mensch in so einer Pflegefamilie aufgenommen wird?
Die Gründe können sehr vielfältig sein: allgemein handelt es sich um Schwierigkeiten in der Herkunftsfamilie, welche von Erkrankungen, Suchtproblematiken, Erziehungsschwierigkeiten bis zu Überforderung und/oder Vernachlässigung des Kindes im Alltag reichen können
Müssen die Herkunftseltern mit der Anvertrauung einverstanden sein?
Nein, die Herkunftseltern müssen nicht zwangsläufig einverstanden sein. Vor allem bei vollzeitigen Anvertrauungen, kann auch das Jugendgericht entscheiden, dass die Kinder außerfamiliär untergebracht werden.
Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht?
Die teilzeitigen Anvertrauungen sind meist einvernehmlich, wo die Eltern meist froh darüber sind, dass das Kind in einer anderen Familie das bekommt, was in der eigenen Familie momentan nicht möglich ist. Hier ist auch die Dankbarkeit der Eltern gegenüber der Pflegefamilie erkennbar. Eine vollzeitige Anvertrauung ist im besten Fall auch einvernehmlich, so startet man mit einer besseren Basis. Sind die leiblichen Eltern nicht einverstanden, kann es passieren, dass die Pflegefamilie als Konkurrenz wahrgenommen wird, was auch auf das Kind negative Auswirkungen haben kann. Mit der Zeit löst sich diese Situation oft aber auch auf und es kommt zu einer guten Zusammenarbeit beider Seiten.
Fachleute unterscheiden zwischen einer vollzeitigen und einer teilzeitigen familiären Anvertrauung. Bitte erklären Sie den Unterschied!
Bei einer vollzeitigen Anvertrauung wohnt das Pflegekind bei der Pflegefamilie. Immer wieder gibt es Besuche zwischen dem Pflegekind und seiner Herkunftsfamilie. Bei einer teilzeitigen Anvertrauung verbringt das Pflegekind einige Stunden am Tag/in der Woche bei der Pflegefamilie und kehrt anschließend wieder in die eigene Familie zurück. Die Dauer der Anvertrauung variiert je nach individueller Situation der Familie und kann von wenigen Monaten bis hin zu 24 Monaten laufen. Sollte die Anvertrauung auch nach den 24 Monaten noch erforderlich sein, kann sie verlängert werden.
Welche Aufgaben liegen bei den Sozialdiensten, welche bei den Herkunftseltern und welche bei der Pflegefamilie bei einer familiären Anvertrauung?
Die Aufgabenverteilung ist in der Praxis sehr komplex, aber in wenigen Sätzen könnte man sagen, dass die Sozialdienste die Aufgabe haben, die gesamte Situation und den Verlauf zu begleiten, zu unterstützen und zu überwachen. Das Fachteam Familiäre Anvertrauung ist zuständig für die Begleitung der Pflegeeltern und bei vollzeitigen Anvertrauungen auch des Pflegekindes. Die Pflegeeltern haben die Aufgabe ihr Pflegekind zu begleiten, zu unterstützen und zu fördern und die alltäglichen Entscheidungen für das Kind zu treffen. Eine zusätzliche Aufgabe ist die Zusammenarbeit mit den Diensten und die Gewährleistung, dass die Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern aufrecht bleibt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der teilzeitigen und der vollzeitigen Anvertrauung eines Kindes ist allerdings, dass bei der stundenweisen Anvertrauung die Entscheidungsbefugnis bei den Eltern liegt, nicht bei den Pflegeeltern. An den Herkunftseltern liegt es, an ihren Schwierigkeiten/Notlagen zu arbeiten, um diese überwinden zu können, sodass eine Rückführung des Kindes in die Familie möglich ist.
Wie wird die finanzielle Situation innerhalb der Pflegefamilie für das Pflegekind geregelt?
Bei den vollzeitigen Anvertrauungen bekommt die Pflegefamilie eine monatliche Vergütung von der Bezirksgemeinschaft. Dazu kann die Familie noch Ansuchen an das Land stellen. Bei größeren Ausgaben unterstützen wir dann auch noch bei Bedarf. Ansonsten sind die leiblichen Eltern auch noch für finanzielle Aufwendungen da. Bei den teilzeitigen Anvertrauung erfolgt die Vergütung über einen Tagessatz.
Wie wird sichergestellt, dass es den Pflegekindern innerhalb der anvertrauten Familie gut geht?
Durch einen regelmäßigen persönlichen und telefonischen Austausch mit der Familie, dem Kind selbst, der Schule oder dem Kindergarten. Der Austausch ist zu Beginn der Anvertrauung häufiger und wird dann bei gutem Verlauf auf regelmäßige Treffen reduziert. Die Situationen sind sehr vielfältig und werden danach abgestimmt.
Was muss ich tun, wenn ich mich als Pflegefamilie zur Verfügung stellen möchte?
Interessierte können sich für ein unverbindliches Informationsgespräch bei unserem Fachteam Familiäre Anvertrauung unter der Telefonnummer 0474 412925 melden oder uns eine E-Mail schreiben: anvertrauung.affidamento@bzgpust.it.
Herr Gualco, warum haben Sie sich für die Aufnahme von Pflegekindern entschieden?
Walter Gualco: Ich bin seit zwei Monaten in Pension und suchte eine sinnvolle Beschäftigung. In meinem bisherigen Beruf hatte ich im Personalbereich sehr viel mit Menschen zu tun. Plötzlich nicht mehr so viele zwischenmenschliche Beziehungen zu haben hat mir Angst gemacht. Eine Anzeige für eine familiäre Anvertrauung hat mich neugierig gemacht und darauf habe ich mich dann gemeldet. Ich hatte es in meinem Leben sehr gut und ich wollte jetzt auch etwas zurückgeben.
Sie haben sich für eine teilzeitige familiäre Anvertrauung von zwei Jugendlichen entschieden. Wie viele Stunden die Woche verbringen sie gemeinsam?
Ja, zwei Jugendliche kommen, jeder zweimal die Woche, vier Stunden zu mir nach Hause. Ein Jugendlicher kommt Dienstag und Freitag und der andere kommt am Montag und am Donnerstag und wir verbringen den Nachmittag zusammen.
Können Sie uns schildern, wie so ein gemeinsamer Nachmittag aussehen kann?
Zuerst gibt es das Mittagessen, das ich mit meiner Frau vorher zubereitet habe. Nach dem Abwasch erledigen wir dann gemeinsam die Hausaufgaben. Am Nachmittag gehen wir öfters spazieren, wir sind auch einmal mit dem Rad gefahren oder haben ein Museum besucht. Ein Buch lesen ist auch eine tolle Beschäftigung. Je nach Witterung und Zeit machen wir manchmal auch kleinere Ausflüge. Wir verbringen Zeit zusammen und erzählen uns von unserem Leben und Geschichten aus dem Alltag.
Sie haben mit der Betreuung im Frühjahr dieses Jahres begonnen. Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt gemacht?
Ich kann bereits jetzt sagen, dass ich viel mehr zurückbekomme, als ich geben kann. Ich finde, dass Menschen, die Zeit haben für eine familiäre Anvertrauung sehr viel Gutes tun können. Wichtig ist, sich für andere Menschen Zeit zu nehmen und auch mal in andere Schuhe zu schlüpfen. Das Leben kann so vielfältig sein und völlig anders verlaufen als das eigene. Wichtig ist mir auch, die Dinge klar beim Namen zu nennen, wenn ich mit den Jugendlichen spreche, aber immer mit viel Herz und Mitgefühl. Bis jetzt kann ich auch sagen, dass es mir sehr viel Freude macht, mich mit diesen jungen Menschen zu beschäftigen.
Wie geht es Ihrer Familie mit Ihrer Entscheidung?
Wir sind sehr erfreut über die getroffene Entscheidung. Ich selbst habe keine Kinder. Meine Frau hat eine Tochter und auch sie ist mit ihrer Familie öfters bei uns zu Besuch. So bietet dieses Projekt der familiären Anvertrauung auch eine besondere Erfahrung für unsere Enkelin, die selbst Einzelkind ist.
TL
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