Sexten – Das Reinhold Messner Haus in Sexten: Ein Ort der Begegnung im Dialog mit Alpingeschichte, Kultur und Nachhaltigkeit.
Von den Gipfeln der Sextner Sonnenuhr schweift der Blick zur mächtigen Dreischusterspitze (3.145 m), im Naturpark Drei Zinnen gelegen und erstbestiegen vor 156 Jahren von Paul Grohmann mit den Bergführern Franz Innerkofler aus Sexten und Peter Salcher aus Maria Luggau im Lesachtal. Das riesige Fenster an der ehemaligen Bergstation der Helmbahn ist die durchscheinende Leinwand zu diesem spektakulären Kino mit den Bergen als Protagonisten, mit Sonne, Wind und Wolken als Regisseur, mit einem alpinen Live- Film in Endlosschleife.
Upcycling-Architektur
Das Fenster zu diesem gewaltigen Bergpanorama war einst das Einfahrtsportal der Kabinenbahn zum Helm. Aus der gesamten Bergstation ist nun das Reinhold Messner Haus entstanden: Ein eindrucksvolles Beispiel, wie alte Bausubstanz neu und effizient umgestaltet werden kann, wie Ausgedientes nicht nur eine Wiederverwendung findet, sondern weit mehr noch aufgewertet wird. Im Jahr 1981 wurde die Helmbahn erbaut. Mit der Umstrukturierung in eine Umlaufbahn 2021, den „Helmjet Sexten“, erübrigte sich die Bergstation und stand seitdem leer. Ihr wurde nun neues Leben eingehaucht. Der Eingangsbereich ist die ehemalige Ticketkasse. Aus der Ein- und Ausfahrtshalle der Gondeln ist der ausgedehnte Shiva-Saal geworden mit einer goldenen Shiva-Statue vor grandiosem Bergpanorama. Minimalistisch gesetzt als Kraftpunkt dieses Areals. Shiva, eine Hauptgottheit des Hinduismus, gilt als Zerstörer und Erschaffer des Universums, als Kreislauf von Tod und Leben. Ein Sinnbild für Vergangenes und Neubeginn. Shiva als Schutzgott für das Reinhold Messner Haus. In der ehemaligen Lagerhalle ist jetzt Reinhold Messners Archiv untergebracht sowie der Nachhaltigkeitsraum. Die einstige Garage für die Schneekatzen ist jetzt ein Kino, wo Filme von und mit Reinhold Messner, aber auch andere Berg- und Naturfilme zu sehen sind. Aus den Technikräumen in den unteren Etagen ist nun die private Wohnung von Diane und Reinhold Messner entstanden. Die gesamte, respektvolle und kreative Formsprache dieses Upcyclings stammt aus der Feder der Architektin Ulla Hell von Plasma Studio.
Ein offenes Haus
Das Reinhold Messner Haus ist kein Museum, sondern ein Ort der Begegnung für Einheimische und Gäste aus aller Welt. „Wir erzählen Reinholds Geschichten, aber auch unsere gemeinsame Geschichte“, sagt Diane Messner. „Vor allem aber ist es uns ein Bedürfnis, aktuelle Themen aufzugreifen wie soziale Medien und deren Gefahren für die Jugend und Gesellschaft. Oder die Wolfs-Problematik in den Alpen, die wir in einem Kunstwerk versinnbildlicht haben. Und generell Themen, die bewegen, die diskutiert und verstanden werden wollen.“ Zu sehen sind Objekte aus Reinholds privatem Umfeld wie sein erstes Kletterseil aus Hanf oder der Bergschuh seines Bruders Günther.
„Es war uns wichtig, dass wir nicht nur die Alpingeschichte aufgreifen“, unterstreicht Reinhold Messner, „im Gegensatz zu einem Museum, kann man hier die Objekte, Kunstwerke und Reliquien anfassen, berühren, sie sind nicht in abgesperrt Vitrinen. Ein Anliegen ist es uns, vor allem Kinder und Jugendliche anzusprechen, ihnen den Zugang zu den Bergen, zu Werten, Natur und Kultur zu vermitteln, ihnen die Auseinandersetzung mit Themen wie Nachhaltigkeit, Mut, Angst, Scheitern zu ermöglichen, ihnen Motivation und Inspiration zum Bestehen in dieser Welt zu geben.“
„Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, es interessiert mich, was sie belastet, erfreut, bewegt“, fügt Diane hinzu. „Es ist ein Geben und Nehmen, denn ich versuche nicht nur, mich Menschen mitzuteilen, sondern nimm von Ihnen ja auch ganz viel für meine persönliche Entwicklung mit. Das ist das Schöne, dieser zwischenmenschliche Austausch. Reinhold und ich sind, so gut es geht, auch anwesend – und deshalb ist es eben dieses offene Haus, und kein Museum.“ Zu den Öffnungszeiten des Helmjets ist das Reinhold Messner Haus täglich von 9.30 bis 17 Uhr zugänglich. Auf Anfrage geben die Messners auch Führungen für bis zu 20 Personen.
Sexten als neues Domizil
Warum haben sich die Messners für Sexten entschieden? „Der Standort ist einmalig“, schwärmt Diane, „dieser Blick auf die Dolomiten, die unvorstellbare 250 Millionen Jahre alt sind. Als mein Mann 2018 diesen Standort sah, war er entzückt davon und sagte gleich, daraus müssen wir was machen. Nun leben wir mit diesem fantastischen Ausblick tagaus, tagein. Als ich ins Pustertal kam, war ich erstaunt, wie freimütig und offen für Neues die Menschen hier sind. Wir fühlten uns sofort willkommen und konnten auch schnell Bekanntschaften schließen.“
Ein Fanal für die Jugend
Reinhold Messner ist eine Lichtgestalt des Alpinismus. Er ist Kult, eine Ikone. „Es fasziniert mich, wie ehrfurchtsvoll und gerührt oft junge Alpinisten meinem Mann begegnen“, sagt Diane Messner. „Nicht nur aus diesem Grund haben wir ein Jugend-Projekt in die Welt gesetzt. Es nennt sich Pro Natur und ist eine grenzüberschreitende Initiative: Kinder aus Südtirol und aus dem Ruhrgebiet verbringen im Schüleraustausch jeweils eine Woche in der gegenseitigen Heimat. Wir wollen auch Denkanstöße geben wider die Wegwerfgesellschaft und zeigen, dass z. B. ein altes Möbel wie das Sofa von Reinholds Großvater auch heute noch attraktiv und zweckdienlich sein kann. Auch mein Opa versuchte stets, aus alten Dingen Neues zu machen. So wie Reinhold und ich heute aus der Bergstation dieses Haus der Begegnung geschaffen haben. Und wir möchten den Menschen die Natur, die Berge näherbringen. Das ist unsere Philosophie. Aus Luxemburg stammend fand ich persönlich relativ spät den Zugang zum Alpinismus. Aber vielleicht gerade deshalb habe ich einen so intensiven Zugang zu den Bergen, zur Natur, weiß sie so sehr zu schätzen.“ Künftig sind auch Tagungen, Vorträge und Diskussionsrunden geplant. Das Reinhold Messner Haus als Ort der Begegnung von Mensch zu Mensch, von Natur zur Kultur. Die Sextner Sonnenuhr, aus Urwelten entstanden, leuchtet in eine neue Zeit.
Architektur im Dialog mit Natur
Ulla Hell von Plasma Studios projektierte das Reinhold Messner Haus aus der ehemaligen Bergstation der Seilbahn am Helm in Sexten. Sie ist die Leiterin von Plasma Studio Italy. Von verschiedenen Studio-Standorten in Europa und Asien aus, vermittelt Plasma zwischen Globalisierung und lokalen Besonderheiten, die Kräfte von Landschaft, Stadt und Umwelt mit dem Maßstab von Material, Konstruktion und Nutzung verbindend. Weiters begleitet Hell als Gastdozentin Entwurfskurse an der Universität Innsbruck und ist als Jurymitglied bei Wettbewerben tätig. Wir sprachen mit der Architektin.
Frau Hell, was war Ihr Konzept beim Reinhold Messner Haus?
Es bestand aus 4 Schwerpunkten: das bestehende Gebäude einer neuen Bestimmung zuzuführen, technische Räume in ihrer Eindrücklichkeit zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die recht eigenwillige Außengestaltung einer Beruhigung im Erscheinungsbild zuzuführen und den Ausblick auf das grandiose Bergpanorama in den Fokus zu setzen.
Wie ist das zu verstehen?
Es war von Anbeginn klar, die Bergstation als solche zu erhalten, sie sozusagen zu recyclen und upcyclen, aus dem Gebäude was ganz Neues, Hochwertiges zu schaffen. Immer mit dem Ziel, dass aber der Charakter einer Bergstation nicht vollkommen überfremdet wird. Mir war es wichtig, so viele Bauteile wie möglich zu erhalten. Zum Beispiel verfügt die Liftstation über interessante technische Details wie den alten Spannschacht, wo die Gewichte installiert waren, die die Bewegung der Seilbahn ermöglichten. Durch diesen 18 Meter hohen Spannschacht, erschließen wir jetzt das Gebäude. So führen wir die Besucher sozusagen in ein technisches Baudenkmal. Ehemalige Anbauten hatten ein unruhiges Erscheinungsbild ergeben. Einige Infrastrukturen am Gebäude wurden nun abgetragen, um dem Ganzen ein gediegeneres Äußeres zu verleihen. Die Architektur als Ganzes erfuhr eine visuelle Beruhigung und erhielt dadurch eine harmonische Einbettung in die Landschaft. Das wenige an Abbruchmaterial wurde zerkleinert und an anderen Stellen wiederverwendet. Ich legte großen Wert darauf, so ressourcenschonend wie möglich zu projektieren. Vor allem sollte das Gebäude in den Dialog mit der Natur treten: Der Ausblick durch das große Fenster zu den Sextener Dolomiten ist ein Highlight des Hauses. Ich als Puschtrarin kann mich als Kind erinnern, wie mich bei der Ankunft auf der Bergstation schon damals der Blick auf die Sextener Dolomiten faszinierte. Dass es gelungen ist, diese Aussicht einzufangen und ihr einen Akzent zu geben, freut mich ganz besonders. Die Protagonisten des Hauses sind die eindrückliche Technik beim Eintritt ins Haus und der Ausblick auf das Bergpanorama.
War es für Sie etwas Besonderes, für Reinhold Messner zu arbeiten?
Ja, auf jeden Fall. Als begeisterte Bergsteigerin habe ich einen nahen Zugang vor allem zu den Dolomiten – und Reinhold Messner hat schließlich Alpingeschichte geschrieben. Das Projekt war eine Herausforderung, aber es freut mich, dass wir aus dieser alten Struktur Neues schaffen konnten und natürlich auch, dass Familie Messner sich darin wohl fühlt. Mein Konzept, hat sich sowohl mit den Seilbahnbetreibern als auch mit Reinhold Messner gedeckt. Als Architektin sehe ich es als Aufgabe, Bestehendes so gut wie möglich zu nutzen. Es war eine schwierige, spannende aber sehr befriedigende Aufgabe, aus dem Bestand so schonend wie möglich was Interessantes zu schaffen.
IB