Die Wirtschaft in Percha
26. Juni 2017
Bernadette Ellemunter Mayr aus Percha
26. Juni 2017
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Das Ahrntal – Teil I Die Dörfer

Das langgezogene Ahrntal mit Luttach und St. Johann

Auf der Landkarte ist kaum ein Südtiroler Tal leichter zu finden als das Ahrntal. Es ist dort, wo sich Italien am meisten nach Norden vorwagt zu jener Vetta d´Italia hin, die Ettore Tolomei erfand, bestieg und auf ewig für Italien in Besitz nahm. In Wirklichkeit ist das Tal weniger leicht zu finden als auf der Karte, weil es doch ein bisschen abgelegen ist, was aber heute nicht mehr unbedingt von Nachteil ist, seit vieles, was leicht erreichbar ist, gerade unter dieser Erreichbarkeit leidet.

 

Das Ahrntal ist ein nördliches Nebental des Pustertales. Man darf eigentlich nicht sagen, es münde bei Bruneck ins Pustertal, obwohl es das tut. Denn bei Bruneck mündet das Tauferer Tal ins Pustertal, weil das bei Bruneck mündende Seitental erst ab dort Ahrntal heißt, wo das Tauferer Tal aufhört oder anfängt, je nachdem ob man von Bruneck hinein- oder nach Bruneck herausfährt. Obwohl nämlich das bei Bruneck mündende Seitental auf seiner ganzen Länge von der Ahr durchflossen wird, heißt nur der innere Teil dieses Tales Ahrntal und der äußere heißt Tauferer Tal. Und so wie sich kein Tauferer als Tölderer bezeichnen lässt, wird auch jeder Tölderer abwinken, wenn man in zeiht, ein Tauferer zu sein. Tölderer ist nämlich die Bezeichnung für die Bewohner des Ahrntales, die ihnen zunächst wohl in eher abschätziger Form von anderen gegeben wurde, inzwischen haben sie sich aber dazu durchgerungen, auf diese Klassifizierung stolz zu sein, denn irgendwo ist in der Bezeichnung auch enthalten, dass das Ahrntal nicht irgendein Tal ist, sondern das Tal schlechthin und sie dessen Bewohner.

Hier soll nun nur vom Ahrntal die Rede sein, das nach Sand in Taufers beginnt und seine natürlichen Grenzen am Alpenhauptkamm hat, wo der Dreiherrnspitz steht, ein Eisgigant von fast 3500 m Höhe. Die orografisch rechte Talseite ist von den Zillertaler Alpen begleitet, wo die Dreitausender gleich reihenweise aufgefädelt sind. Die orgografisch linke Talseite bilden die Ausläufer der Rieserferner Gruppe, die wieder mit den Tauern zusammenhängen. Hier reicht der Naturpark Rieserferner-Ahrn ans Ahrntal, der mit dem weiter nördlich gelegenen Nationalpark Hohe Tauern und dem Naturpark Zillertaler Alpen mit einer Fläche von 2.475 km2 den größten Schutzgebietsverbund Europas bildet. Das Tal ist eng und seine Hänge sind steil, und daher ist es nicht verwunderlich, dass es erst relativ spät besiedelt wurde. Man wagte sich erst hinein, als anderswo der Boden knapp wurde. Der erste Ahrntaler Hof ist urkundlich zwischen 1065 und 1077 genannt, es ist der Rohrbachhof in St. Johann, den der Edle Heinrich, Dienstmann des Bischofs Altwin von Brixen, damals dem Hochstift Brixen schenkte („praedium … quale habuit in Ourin  in loco qui dicitur Rora“ – ein Landgut, das er in Ahrn hat an einem Ort, der Rora genannt wird). Aus der Tatsache, dass die Ahrntaler Bauern jenseits des Alpenhauptkammes in den Gründen des Zillertales und in der Krimml heute noch Almen besitzen, hat man abgeleitet, dass das Ahrntal von dort aus über die Jöcher vom Norden her besiedelt worden sein könnte. Diese Annahme hat man inzwischen wieder fallen gelassen. Wahrscheinlicher ist da schon, dass vor allem die mächtigen Herren von Taufers ein Interesse daran hatten, in dem waldreichen und klimatisch eher unwirtlichen Tal nördlich ihres Schlosses rodungswillige Bauern anzusiedeln, die dort Höfe erbauten, die dann an die Herren von Taufers tributpflichtig waren und ihnen jedes Jahr den schuldigen Grundzins überwiesen.

Die Dörfer des Tales
Der bewohnbare Teil des Ahrntales erstreckt sich über etwa 24 km. Darauf entfallen sieben Dörfer, es sind von Süden nach Norden (oder von außen nach innen) Luttach, Weißenbach, St. Johann, Steinhaus, St. Jakob, St. Peter und Prettau. Bis auf Prettau sind alle Ortschaften zu einer Gemeinde, der Gemeinde Ahrntal, zusammengefasst. Unter Österreich waren die einzelnen Dörfer des Ahrntales eigene Gemeinden. Gemäß den starken Zentralisierungstendenzen des Faschismus wurden in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts alle Dörfer des Tales zu einer Gemeinde zusammengefasst. Sitz des Podestà, des faschistischen Amtsbürgermeisters, war Steinhaus. Das demokratische Italien änderte dann nichts an der Gemeindeeinteilung. Im Jahre 1958 trennte sich Prettau von der Gemeinde Ahrntal und wurde eine eigene Gemeinde.

Luttach
Dieses einst aus wenigen Höfen bestehende Ahrntaler Dorf hat sich als erstes dem Fremdenverkehr verschrieben. Hier gab es schon vor dem 1. Weltkrieg die schönsten Gasthöfe und die meisten Gäste. Sie kamen damals nicht nur mit der Tauferer Bahn, sondern auch als Bergsteiger über die Herrenwege von den Zillertaler Alpen herunter, die vom österreichischen Militär angelegt worden waren. Der wichtigste Weg führt über den Schwarzenstein, aber auch wer Dreitausender, wie den Turnerkamp, den Möseler oder den Hochfeiler besteigen wollte, nahm mit Vorliebe Luttach zum Ausgangspunkt seiner Tour. Nach dem 2. Weltkrieg knüpfte Luttach an seine touristische Vergangenheit fast nahtlos an und übertrumpfte teilweise sogar das viel größere Sand in Taufers. Da Luttach nur wenige Kilometer von den beiden Skigebieten am Klausberg und am Speikboden entfernt ist, sind auch im Winter die Hotels voll von Gästen.

Weißenbach
Weißenbach ist der Name für das längste der  Seitentäler des Ahrntales, die aber nicht Täler, sondern Bäche heißen. Das Dorf liegt auf einer Höhe von über 1300 m. Lange war es nur über eine sehr schmale und steile Straße zu erreichen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass der wunderschöne Talgrund weniger verbaut  und erschlossen ist als anderswo im Ahrntal. Der Tourismus hat das idyllische Dorf erst ziemlich spät entdeckt. Heute suchen im Sommer Wanderer und Bergsteiger das Tal auf und im Winter Skifahrer, Skilangläufer, Skitourengeher und Rodler. Neben dem Tourismus bieten einige gut gehende Handwerksbetriebe Arbeitsplätze an. Die Bauern bewirtschaften ihre Höfe und profitieren gelegentlich auch davon, dass sie ihre Almen touristisch nutzen, und zwar sowohl im Sommer als auch im Winter.

St. Johann
St. Johann ist der größte Ort des Tales und wird meist einfach Ahrn genannt. Lange hatte das Dorf trotz der schönen spätbarocken Kirche kein eigentliches Dorfzentrum, die zahlreichen Bauernhöfe waren mehr oder weniger regelmäßig über den Talboden und die sonn- und schattseitigen Hänge verstreut. Erst die rege Bautätigkeit der letzten vierzig Jahre hat um die Pfarrkirche herum ein relativ dicht besiedeltes Zentrum geschaffen, wodurch der Ort den ehemals prägenden Charakter einer Streusiedlung zumindest z. T. verloren hat. Die früher dominierende Landwirtschaft hat vom Tourismus Konkurrenz bekommen. Für das Tal war St. Johann so etwas wie die Urpfarre, von hier aus wurden bis weit in die Neuzeit hinein die anderen Orte seelsorglich betreut. Die einzige Mittelschule des Tales hat hier ihren Sitz.

Steinhaus
Das Dorfzentrum von Steinhaus dominieren die kupferroten Häuser des Ahrner Handels, der ehemaligen Betreibergesellschaft des Prettauer Kupferbergwerkes. Das älteste von ihnen, das Faktorhaus, ist heute das Rathaus der Gemeinde Ahrntal. Der Kornkasten, das Lebensmittelmagazin des Bergwerkes, ist zum Museum umgebaut worden, in dem die bergbaukundliche Sammlung ausgestellt ist, die den Grafen von Enzenberg gehört und das Prettauer Bergwerk betrifft. Die Bevölkerung von Steinhaus ist in den letzten Jahrzehnten sehr stark gewachsen, sodass eine neue Kirche gebaut werden musste. Das Dorf hat auch touristisch gewaltig aufgeholt. Der Ausbau des Skigebietes am Klausberg hat vor allem zum Zustrom von Wintergästen geführt. Natürlich hat sich das baulich sehr stark ausgewirkt. Steinhaus hat auch davon profitiert, dass es seit den Tagen des Faschismus Sitz der Gemeindeverwaltung ist.

Steinhaus im Ahrntal

St. Jakob
Die Kirche von St. Jakob steht weithin sichtbar auf einem Bühel. Noch heute dominiert in St. Jakob die bäuerliche Siedlungsweise, auch wenn in letzter Zeit durch den Bau von Wohnbausiedlungen, Fremdenverkehrsbetrieben und durch landwirtschaftliche Eingriffe die in Jahrhunderten geschaffene Kulturlandschaft verändert wurde. Aus dem früher im Ahrntal viel betriebenen Maskenschnitzen entwickelte sich die Schnitzschule von St. Jakob, die lange auf dem Bühel ihren Sitz hatte. Ihr ist es gelungen, von traditionellem Kunsthandwerk ausgehend zu Tendenzen der modernen Kunst vorzustoßen. Als man die Schnitzschule, die von Anfang an ein Anhängsel der Berufsschule von Bruneck war, dorthin verlegte, gingen ihr die Schüler aus. Zum geplanten Neubau in St. Jakob wird es deswegen nicht mehr kommen, was dem Dorf etwas von seinem Flair nimmt, das davon bestimmt war, dass stark individualistisch ausgerichtete junge Leute, die sich der Kunst verschrieben hatten, auf eine doch noch stark traditionell geprägte Dorfidylle trafen.

St. Peter
Der Peterer Bühel ist von der Pfarrkirche gekrönt, die von einigen stattlichen Bauernhäusern umgeben ist, darunter dem Duregghof, von dem Bartlmä Duregger stammte, der im Tiroler Bauernkrieg von 1525 mit einer Rotte von unzufriedenen Bauern Furore machte. Vom Bühel aus führt der uralte Weg über das Hundskehljoch (2559 m) ins Zillertal. Die Hundskehle war nach dem Krimmler Tauern einst der am meisten begangene Übergang im Ahrntal. Auch der Weg durch den Walcherbach über das Mitterjoch (2634 m) hinüber in den Sundergrund geht von St. Peter aus. Bis vor kurzem stand auch das Schulhaus auf dem Bühel. Da aber im Weiler Marche eine größere Wohnbauzone ausgewiesen wurde, die nun verbaut ist, hat man das neue Schulhaus und den Kindergarten auch dorthin gebaut. Nur der Kirchweg der Peterer, wie man die Bewohner von St. Peter im Tale nennt, ist nach wie vor steil und lang.

 

Prettau
Das Dorf liegt am Talschluss und erstreckt sich von der Klamme – so nennt man die Schlucht, die sich die Ahr in St. Peter gegraben hat – über mehrere Kilometer bis in die unmittelbare Nähe von Heilig Geist, einer Almsiedlung auf über 1600 m Meereshöhe. Prettau war bis um etwa 1400 ein reines Bauerndorf. Dann kam das Kupferbergwerk am Rötbach auf und bestimmte von da an nicht nur die Geschicke dieses Dorfes, sondern beeinflusste in wirtschaftlicher Hinsicht das ganze Ahrntal. Der Bergbau veränderte das Dorf nicht nur durch den Bau der vielen Knappenhütten, sondern vor allem dadurch, dass infolge des intensiven Holzverbrauches der schmale Waldgürtel um Prettau abgeholzt wurde, was die Lawinengefahr anwachsen ließ und die klimatische Situation verschlechterte. Als das Bergwerk nach einem halben Jahrtausend den Betrieb einstellte (1893), war das für Prettau eine wirtschaftliche Katastrophe. Heute lebt Prettau von der Landwirtschaft und vom Tourismus. Außerdem pendeln viele Prettauer täglich zu den Industriezonen im äußeren Ahrntal, um Taufers und in Bruneck.