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Meinhard Feichter aus St. Georgen

„Das Leben kann man nicht verlängern, aber wir können es verdichten.“  (Roger Willemsen)

 

 

Wir kennen sein Gesicht. Meinhard Feichter war langjähriger Geschäftsführer der Buchhandlung Athesia in Bruneck. Mittlerweile arbeitet er in Teilzeit, sechs lange Jahre hat er seine unheilbare Krankheit überlebt. Er führt Zwiegespräche mit seinem Schicksal und hat seine Emotionen dokumentiert.

Wie geht es Ihnen?
Ich bin zufrieden und dankbar. Als ungewollter ‚Halbpensionist‘ ist es für mich wichtig, aktiv zu bleiben. Die Arbeit, der Umgang mit Menschen und die Musik tun mir gut. Ich weiß, meine Tage sind gezählt, aber wir alle kennen nicht unser Morgen.

Sie haben gerade eine Pilgerwanderung hinter sich, was gibt Ihnen das Pilgern?
Meine erste Erfahrung 2015 war der Benediktweg von Norcia bis Montecassino, etwa 300 km lang. Ich war mit Freunden und mit leichtem Rucksack unterwegs, einen Teil begleitete mich auch meine Frau. Diesen Herbst ging ich mit Pilgerfreunden von Orvinio nach Rom, etwa 150 Km. Pilgern ist Gehen nach innen. Pilgerwege führen zu Kraftorten und sind nicht mit gewöhnlichen Wanderungen zu vergleichen. Man geht bewusster mit inneren Fragen und Gedanken um: Dinge werden klarer, Probleme erhalten einen Lösungsansatz. Es entsteht eine Tiefe der besonderen Art und ich entdecke meine spirituelle Seite. Am Ende bleibt die Sehnsucht, bald wieder neu aufbrechen zu können.

Apropos Vertiefung: Sie haben Ihre Erfahrungen und Emotionen aufgezeichnet…
Im Spital oder in schlaflosen Nächten habe ich zwischendurch meine Gedanken aufnotiert. Daraus ist nun ein Buch geworden, das im Jänner erscheint. Es trägt den Titel „Gezählte Tage sind kostbare Tage“. Ich schreibe vom Umgang mit (m)einer lebensbedrohlichen Krankheit und will Mut machen, den bisherigen Lebensweg zu reflektieren, sich den eigenen Lebensfragen zu stellen und auch in kritischen Situationen die Hoffnung hoch zu halten. Wem das Schicksal ein Bein stellt, dem drängt sich oft als erstes Frage auf: „Warum gerade ich?“. Darauf gibt es aber keine Antworten, sondern nur neue Fragen, die Energie rauben und Zeit verschwenden. Da ist es not-wendend, herauszufinden und sich darauf zu konzentrieren, was trotz allem noch an Lebenswertem übrig bleibt.

Was bedeutet für Sie der Glaube?
Für mein Schicksal ist Gott nicht zuständig. Ich hatte bzgl. meiner Gesundheit einfach Pech und ich mache niemanden dafür verantwortlich. Gott schon gar nicht. Das Gottesbild aus meiner Kindheit war das eines liebenden Vaters. Es ist mit mir erwachsen geworden. Gott steht über mir, er ist in mir und um mich herum. Ich habe ein theozentrisches Weltbild und entdecke Gott in allen Dingen. Er weist mir Wege, schenkt mir Zuversicht und gibt mir Sicherheit. Er lässt mich angstfrei leben. Auch in meiner Krankheit.

Inwiefern ist Musik für Sie heilend?
Sie gibt mir viel Kraft und wirkt tröstend. Und sie ist für mich auch ein Gottesbeweis. Ob nicht auch Bach oder Brahms beim Komponieren ihrer großartigen Werke von Gott ‚angewiesen‘ wurde, für die Ewigkeit zu schreiben und so uns Menschen seine Existenz zu beweisen? Ich glaube, ja! Jedenfalls hat Musik für mich überirdische Kraft und ich meine öfter, beim Singen und Musizieren dem Göttlichen auf der Spur zu sein.

Wäre Musik für Sie eine berufliche Option gewesen?
Als Kind sah ich mich als Bergdoktor, der Menschen auf entlegenen Bauernhöfen rettet. Nach der Matura wollte ich Tontechnik studieren, hatte dafür auch schon die Aufnahmevoraussetzungen am Robert-Schumann-Institut in Düsseldorf. Familiäre Umstände machten dann meinen Wunsch zunichte. Mein Beruf als Buchhändler hat mich aber gewiss nicht minder erfüllt. Als Vermittler zwischen Schreiber und Leser durfte ich ein Arbeitsleben lang die richtigen Bücher zum richtigen Leser bringen. Eine Buchhandlung ist das Zentrum der Information. Alles, was den Menschen bewegt und interessiert, wurde und wird aufgeschrieben, der bedeutsamere Teil davon erscheint in Buchform.

Haben Sie Vorbilder?
Ich bewundere Zeitgenossen, die ihre Talente kultivieren, so wie etwa Roger Willemsen, das Sprachgenie oder Menschen, die aus einer schwierigen Situation etwas machen, so wie Andi Holzer, der blinde Bergsteiger. Zusammen mit solchen Vorbildern möchte auch ich wachsen und reifen und niemals aufgeben. Bis zum letzten Atemzug nicht.

Was ist Ihre tägliche Herausforderung?
Jeremias Gotthelf schrieb einmal: „Schwer ist es, die rechte Mitte zu treffen: Das Herz zu härten für das Leben, es weich zu halten für das Lieben.“ Das Pendeln zwischen Abgrenzung und Hingabe ist ein wiederkehrender Auftrag, dem wir uns zu stellen haben, um dem eigenen Glück auf die Spur zu kommen und zu erkennen, wer wir selbst sind.