Kriegsfreiwillige im Ersten Weltkrieg

Eine Schule, drei Sprachen, 70 Jahre
14. September 2018
Gert Lanz aus Toblach.
14. September 2018
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Kriegsfreiwillige im Ersten Weltkrieg

TEIL I – Auszüge aus einem Kriegstagebuch. Seit Kriege geführt werden, obliegt es den Staatsbürgern, sich für den Kriegsdienst zur Verfügung zu stellen. Das geschieht einmal, indem die dafür tauglichen Männer zu diesem Dienst einberufen werden und dann ihre Pflicht erfüllend alles tun, um für ihre Partei den Sieg zu erringen. Kriege verlangen größte Opfer. Seit sie sich der modernen Waffentechnik bedienen, kann ein Krieg Millionen von Menschen das Leben kosten. Angesichts dieser Tatsache verwundert es doch, dass es Menschen gibt, die freiwillig in den Krieg ziehen und nicht nur, weil sie von grausam formulierten Gesetzen dazu gezwungen werden.

Eine Familie von Kriegsfreiwilligen
Wenn von der Begeisterung die Rede ist, die Kriege auslösen, dann fällt auf, dass diese ganz unterschiedlichen Grades ist. So sollen Deutsche und Österreicher sich am Beginn des Ersten Weltkrieges mit besonderem Elan in  den Kampf geworfen haben, was dann am Beginn des Zweiten Weltkrieges deutlich weniger der Fall war. Ein Mann aus Herne in Westfalen, der sich im August 1914 gleich nach der Mobilmachungsorder als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, hat ein Kriegstagesbuch hinterlassen, dem wir entnehmen können, was mit Leuten geschah, die sich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten und  dann die gesamte Zeit des Krieges an der Front verbrachten. Der Kriegstagebuchschreiber hieß Otto Wehling. Dem Kriegstagebuch liegt eine Zeitungsnotiz bei, die mit „Herner Kriegschronik“ überschrieben ist. Sie lautet: „Der Vize-Wachtmeister Otto Wehling von hier wurde zum Leutnant der Reserve befördert. Damit ist der dritte von den sieben seit Kriegsausbruch im Felde stehenden Söhnen des Kaufmanns Franz Wehling von hier Offizier geworden. Eine Soldatenfamilie im wahrsten Sinn des Wortes, die ihre sämtlichen sieben Söhne dem Vaterland in schwerster Stunde zur Verfügung stellte. Von den sieben Söhnen weilt der älteste, Franz, Oberleutnant und Chef einer Eisenbahn-Direktions-Abteilung im Westen, der zweite Sohn Karl meldete sich bei Kriegsausbruch als Kriegsfreiwilliger und steht z. Z. als Vize-Wachtmeister im Osten, der dritte Sohn Anton wurde im vergangenen Jahre zum Leutnant befördert, während der vierte Sohn Heinrich als Offiziersstellvertreter Frontdienst tut. Der jetzt zum Leutnant ernannte fünfte Sohn Otto liegt mit seinem Regiment in Rumänien und hat bei der Umgehungsschlacht am Roten Turmpaß im Verein mit bayrischen Kameraden den Rumänen übel mitgespielt. Außerdem stehen noch die beiden jüngsten Söhne Emil und Alex als Kriegsfreiwillige an der Front. Der Herner Soldatenfamilie, deren Name in der Herner Kriegschronik besonders ehrenvolle Erwähnung verdient, unseren besten  Glückwunsch! Möge es ihr vergönnt sein, nach einem ehrenvollen Frieden mit ihren sieben Söhnen ein frohes Wiedersehen zu feiern.“

Die 7 Söhne des Kaufmanns Franz Wehling meldeten sich bei Kriegsausbruch freiwillig zum Kriegsdienst. Otto Wehling, von dem das Kriegstagebuch stammt, fuhr am zweiten Mobilmachungstag mit einigen Bekannten aus Herne nach Köln, wo sie sich bei verschiedenen Regimentern als Freiwillige meldeten, aber wegen des großen Andranges nirgendwo unterkamen. Erst Anfang September wurde Otto Wehling beim 7. Jäger-Bataillon als Freiwilliger angenommen, aber dann wieder nach Hause geschickt, u. a. weil man ihn wegen Fehlens von Monturen nicht einzukleiden vermochte. Er bewarb sich dann beim Kommandierenden General des 7. Armeekorps in Münster erneut als Freiwilliger mit der Begründung,  6 seiner Brüder seien bereits im Felde und er warte immer noch darauf, als Kriegsfreiwilliger den Dienst antreten zu können. Nach 8 Tagen ging ihm dann der Bescheid zu, dass das Feld-Artillerie-Regiment Nr. 9 in Itzehoe doch noch Freiwillige einstelle. Im März 1915 ging für Otto Wehling dann doch der Wunsch nach Kriegsdienst in Erfüllung, der mit der Ausbildung zum Kanonier an alten Geschützen aus dem 1870er Kriege begann. Es folgte dann die Ausbildung am neuen Geschütz, einer 10,5er Haubitze, dann ärztliche Untersuchungen und schließlich am ersten Pfingsttag die feldmarschmäßige Einkleidung, die Gebirgsausstattung und das Scharfschießen im Lager.

An die italienische Front
Am zweiten Pfingsttag ging es dann ab an die Front, verladen in Güterwaggons, Ziel unbekannt. Vermutung: es geht an die italienische Front, da Italien den Krieg erklärt hatte und die Einrückenden mit Hochgebirgsausrüstung versehen wurden. Die deutschen Truppen, welche ab 1915 in den Alpen kämpften, bildeten das „Deutsche Alpenkorps“. Die lange Fahrt an die Front ging von Halle über Nürnberg, München, Kufstein, Innsbruck und Brenner nach Franzensfeste. Von dort ging es dann durch das Puster- und das Gadertal bis nach Corvara. Die Soldaten trafen überall auf ungeheure Begeisterung, vor allem in Österreich. Anfang Juni kamen sie in Corvara an, wo sie biwakierten oder in Baracken Unterkunft fanden. Die Geschütze wurden einzeln  in Stellung gebracht. Die erste Stellung wurde am Sief-Sattel auf 2150 m bezogen. Munition und Material für die Unterstände mussten auf Bergpfaden in Stellung getragen werden. Hier kam es  zur ersten Feuertaufe, weil der oberste Graben  zu stark unter Dauerfeuer lag. Daher musste diese Stellung geräumt werden.

Das Alpenkorps an der Westfront und in Serbien
Da kam der Befehl zum Abtransport des Alpenkorps an die Westfront in die Nähe von Sedan, was mit viel Mühe verbunden war. Dort verblieb das Korps aber nur wenige Tage, wurde dann wieder verladen und auf den serbischen Kriegsschauplatz transportiert. Der Weg dorthin führte durch Lothringen, die Pfalz, Baden, Württemberg, Bayern, Salzburg, Wien, Budapest, Szegedin, Temesvár und weiter in die Gegend östlich von Belgrad. Die Wege waren in einem äußerst schlechten Zustand, sodass pro Tag höchstens 10 km zurückgelegt werden konnten. Liest man die Tagebuchnotizen von Otto Wehling, dann erkennt man, wie ungeheuer intensiv die Reisetätigkeit der Soldaten war, die monatelang nichts anderes taten, als von einem Kriegsschauplatz zum anderen zu fahren. Dabei wurde die Verpflegung für Mensch und Tier  von Tag zu Tag schlechter, da keine Lebensmittel nachgeholt werden konnten und das Land arm und schon gänzlich ausgeplündert war. Für viele Soldaten war das, was sie an der serbischen Front und in Montenegro mitmachen mussten, das Schlimmste, was sie während des ganzen Krieges erlebten.
Die Pferde verhungerten und lagen zu Hunderten an den Straßen, da es unmöglich war, Futter zu beschaffen. Es gab wohl kaum einen Soldaten, der nicht durch wochenlanges Hungern krank war und kaum noch in der Lage, sich selbst fortzubewegen. Da man aber wusste, dass jedem, der nicht bei der Truppe blieb, der Tod sicher war, riss man sich zusammen. Beim Einmarsch in Novi Pazar (Serbien) war die Truppe in einem  derart schlechten Zustand, dass der Vormarsch nach Montenegro abgebrochen werden musste. Es  kam der Befehl zum Rückzug, worauf sich die Versorgungslage besserte, weil es dort noch genug zu requirieren gab. Im Februar 1916 war der Feldzug in Serbien zu Ende. In Krivolac wurden die Truppen verladen. Die Bahnfahrt ging dann durch Serbien nach Norden zunächst in Richtung Belgrad über Temesvár und Szegedin nach Budapest und von dort über Wien nach Kattowitz und Czenstochau. Dort fand eine Entlausung statt, bevor die Reise dann quer durch  Deutschland ging und über Köln nach Lüttich und von dort nach Süden in die Ardennen. Vor Reims blieb man dann einige Wochen in Stellung. Dieser Frontabschnitt war verhältnismäßig ruhig.

Verdun – das Kriegserlebnis
Im Mai 1916 ging es nach Verdun, wo gerade die große Offensive der Kronprinzenarmee begonnen hatte. In Longwy (an der Grenze zu Luxemburg) wurde nochmals für einige Tage Quartier bezogen. Hier traf Otto Wehling seinen Bruder Franz. In der Nacht ging es in die Stellung unmittelbar vor Fort Nause. Diese Stellung war eine offene Feldstellung. Es wurde nahezu ununterbrochen geschossen, Tag und Nacht. Am 11. Mai 1916 wurde Otto Wehling  zum Vize-Wachtmeister befördert und fand von diesem Tage an hauptsächlich Verwendung als  Beobachter. Neue Stellung auf dem Fort Harderimont an einem Waldrand. Diese Stellung litt sehr stark unter feindlichem Feuer. Sie kam kaum zur Ruhe, da der Feind die Position infolge eines Munitionsbrandes entdeckt hatte. Im Fort fühlte man sich trotzdem noch einigermaßen sicher, auch wenn man Tag und Nacht unter Feuer lag und Gasangriffen der Franzosen ausgesetzt, was dazu führte, dass man fast den ganzen Tag die Gasmaske aufbehalten musste. Nach 8 Tagen wurde das Korps abgelöst und kam in eine ruhige Stellung in die Argonnen. Otto Wehling bekam seinen ersten Heimaturlaub, den er in Herne und in Berlin verbrachte. Nach 14-tägigem Urlaub fuhr er wieder an die Westfront, wo er nochmals seinen Bruder Franz besuchte. Das Korps war inzwischen verladen worden und war unterwegs nach einem neuen Kriegsschauplatz, wo ein Urlauber-Transport des Korps zusammengestellt wurde, den er als Vize-Wachtmeister anzuführen hatte. Die Offensive sollte in wenigen Tagen beginnen. (RT)