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Joseph Zoderer aus Terenten

„Ich wollte immer den Sinn des Lebens an mir erforschen.“

Die Wände des Schreibateliers sind voll mit Seiten von Gedichten und aus Romanen. Hier ist Kreativwelt von Joseph Zoderer, einem der bedeutendsten Autoren Südtirols. Das Ouvre des 86-Jährigen umfasst sieben Gedichtebände und 12 Prosawerke.

Herr Zoderer, Sie erhielten kürzlich das Ehrenzeichen des Landes Tirol. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Es ist für mich eine Art „zweite Geburtsurkunde“, dass ich Südtiroler bin. Als ich vier war, zog meine Familie im Zuge der Option von Meran nach Graz und mit 13 Jahren kam ich in ein Gymnasium in der Schweiz, maturierte 1957 wiederum in Meran und studierte anschließend in Wien, wo ich zehn Jahre als Zeitungsjournalist arbeitete. Mitte 30 zog ich per Autostopp durch 22 Bundesstaaten von Amerika. Mein Leben sah ich immer als großes Abenteuer. Zurück in Südtirol gründete ich eine Familie. Diese Auszeichnung verbinde ich mehr mit meinem Privatleben, für mein Engagement für gesellschaftspolitischen Diskurse. Das wurde nicht immer geschätzt. Vielleicht deshalb diese späte Anerkennung. Jedenfalls freut mich die Auszeichnung.

„Die Walsche“ ist eines Ihrer Hauptwerke. Wollten Sie damit den Südtirolern den Spiegel vorhalten?
Nein. Es ist ein Buch der Einsamkeit und Befremdung. Es ist eine Art Beobachtung von außen. Ich stelle darin die ethnischen Konflikte von innen heraus dar. Manche Menschen fühlten sich betroffen und auf die Füße getreten. Das Buch schrieb ich 1981 und ich war so kühn – meine Schwiegermutter nannte es Leichtsinn -, danach meinen sicheren Job als Journalist bei der Rai zu kündigen, um mich ganz dem Schreiben zu widmen.

Wie entwickeln Sie eine Geschichte?
Ich habe ständig ein Notizbuch bei mir und halte fest, was mich interessiert. Bereits mit 12 begann ich mein Leben aufzuschreiben, mit 14 veröffentlichte ich in Zeitungen erste Gedichte und verdiente mir ein Taschengeld. Schon damals wusste ich, dass ich Schriftsteller werden würde, es ist der schönste Beruf, den ich wählen konnte. Bei einer Geschichte nehme ich mir kein Thema vor. Oft ist es ein einfacher Satz, und es entsteht daraus eine Geschichte. Im Grunde habe ich immer meinem Leben entlang geschrieben. In der Literatur muss man auch übertreiben. Die Provokation gehört dazu, sonst ist es nur Unterhaltungsliteratur.

Wieviel von Ihnen selbst ist in den Figuren Ihrer Bücher?
Was in einem Menschen vorgeht, ist das Spannendste für einen literarisch Schaffenden, es sind nicht so sehr die Äußerlichkeiten. Konfliktsituationen wie Scheitern und Zweifeln interessieren mich mehr, als über Glück zu schreiben. Ich beobachte die Welt und andere Menschen. Mein bestes „Untersuchungsobjekt“ bin aber ich selbst, ist mein Leben. Das kenne ich genau, alles andere kann man ja nur erahnen. Jede geschätzte Literatur ist letzten Endes eine vom Leben und Schicksal des Autors geprägte. Daran kann man die Welt darstellen, wie man sie erleidet oder wie man sie als Glücksspenderin empfindet. Ich wollte immer den Sinn des Lebens an mir und meiner Umgebung erforschen. Ich habe mich auf eine existenzielle Literatur verlassen und nicht darauf, die Leute zu unterhalten.

Gedichte schreiben ist Gedanken verdichten, ist das nochmal die größere Kunst?
Lyrik ist der Extrakt von der Literatur. Aber mir fällt Dichten nicht schwer, ich schreibe „poesie sparate“. Bei meinem neuen Gedichteband „Bäume im Zimmer“ waren der Auslöser die Pandemie und deren Auswirkungen. Warum dieser Titel? Lyrik soll man nie erklären. Jeder soll empfinden, was sein Gemüt, sein Bildungsstand erfasst. Der eine sieht annähernd, was der Autor ausdrücken will, der andere etwas ganz anderes.

Ist Schreiben eine Art Therapie?
Das ist es immer. Wir haben alle unsere kleineren und größeren Neurosen. Ich arbeite täglich, wenn ich drei Tage nicht zum Schreiben komme, kann mich kein Mensch mehr aushalten. Schreiben hängt auch vom Gesundheitszustand ab, ob man die kreative Freude daran findet. Manchmal quäle ich mich auch zum Schreiben, um nicht in eine Traurigkeit abzurutschen. Wenn ich schreibe, bin ich frei davon.

In Ihrer Kindheit war Krieg, jetzt ist wieder Krieg in Europa. Was empfinden Sie?
Als wir in Graz bombardiert wurden, sah ich Ruinen und zerrissene Menschen. Wir spielten im Luftschutzkeller, als Kind erfasste ich aber nicht die Wucht der Tragödie. Wir hatten lange Frieden in Europa, aber auf dem Rest der Welt waren immer Kriege. Es ist deprimierend, dass die Menschheit nichts lernt und so blind für persönliche Machtinteressen ist. Wir hätten so viele Möglichkeiten, uns eine Welt des schönen Lebens zu schaffen. Aber dafür hat sich immer nur die Minderheit eingesetzt.

Sie haben die Welt bereist. Warum ließen Sie sich trotzdem in Südtirol nieder?
Als ich von Amerika zurückkam, empfand ich Südtirol als Paradies. Es fällt mir schwer, mich an ein schöneres Land zu erinnern. Politisch jedoch fühlte ich mich eingeengt. Wenn ich in Wien, Berlin oder New York geblieben wäre, hätte ich ganz andere Bücher geschrieben. Und trotzdem bereue ich nichts. Erstens weil ich hier eine wunderbare Familie habe und zweitens, weil du überall schreiben kannst, worum es wirklich geht. Vielleicht wäre ich mit einer schalen Unterhaltungsliteratur ein Bestsellerautor geworden. Das wäre ein schwerer Stein auf meiner Brust. Ich möchte nicht sterben als Bestsellerautor, der nichts als kopierte Unterhaltungsliteratur hinterlassen hat. Ich will den Menschen den Sinn des Lebens zwischen Leid und Freud zeigen.

Wie möchten Sie erinnert werden?
Als ein Autor, der noch immer etwas geben kann, wenn man ihn liest. (IB)