Marianna Oberhollenzer aus Luttach

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Marianna Oberhollenzer aus Luttach

„Ich hatte ein schönes Leben. Auch wenn es oft schwer war.“

Marianna Oberhollenzer wird Anfang Juni 100 Jahre jung. Auf dem Tisch in ihrem Wohnzimmer stehen ein Strauß Vergissmeinnicht und ein kleiner „Altar“ – Fotos von ihren Liebsten, von Nachbarn, Bekannten und einer Madonna. Ihnen gilt ihr tägliches Gebet. Die rüstige Luttacherin erzählt gerne aus ihrem reichhaltigen Lebensbuch.

Frau Oberhollenzer, wie war Ihre Kindheit?
Ich bin in Luttach beim Weba in der Stube als Älteste von 12 Kindern geboren worden. Drei meiner Geschwister starben noch im Kindesalter. Meine Eltern waren zufriedene Leute. Sie verstanden sich gut, ich sah sie nie streiten. Der Vater war 20 Jahre älter als die Mutter. Sie waren beide relativ arm; Mutter wusste oft nicht, was sie kochen sollte. Der Vater war Tagelöhner.
Als ich in Luttach zur Volksschule ging, war die Sprache dort Italienisch, im Unterricht verstanden wir Schüler wenig. Mein Vater unterrichtete mich daheim in Religion, das war ihm wichtig. Ich war selbst noch ein Kind, als ich zu einer Luttacher Familie kam, um dort auf deren Kinder aufzupassen. Dort bekam ich genug zum Essen. Nicht, dass wir daheim Hunger litten, aber viel gab es nicht.

Wie ging es weiter?
Mit 16 ging ich nach Florenz in eine Art Haushaltungsschule, die vom Stift der Hl. Elisabeth geführt wurde; zusammen mit mir waren drei Mädchen aus Kaltern. Vier Jahre blieb ich dort, auch noch als der 2. Weltkrieg ausbrach. Anfangs litt ich an Heimweh, aber danach fühlte ich mich recht wohl, auch lernte ich gut die italienische Sprache. Mit 20 kam ich in einen Haushalt im Vinschgau und dann zu Familien am Gardasee und bei Como. Teils verdiente ich gut, teils wenig. Einmal führte ich bei einer Familie den Haushalt, wo die Frau krank war, ich musste auch deren 2 Söhne betreuen; und da waren noch eine Tante und eine alte Mutter. Es gab immer nur Polenta zum Essen, sogar deren Hund bekam Polenta. Man konnte mir das Gehalt nicht bezahlen, ich blieb aber trotzdem eine Zeit lang dort, weil mir die Leute leidtaten.

Sie haben einen Sohn?
Ja, er heißt Vinzenz, er ist das größte Geschenk meines Lebens. (Marianna hat Tränen in den Augen vor Rührung) Mein Sohn wuchs ohne Vater auf. Früher ein lediges Kind zu haben, war nicht einfach. Von meinen Angehörigen hörte ich nie ein schlechtes Wort, von Leuten im Dorf sehr wohl. Aber das war mir dann auch egal. Als Vinzenz zur Welt kam, sagte mein Vater, der Bub brauche eine Heimat. Zusammen mit meinen Schwestern Paula und Zenzl baute ich dann ein Haus in Luttach, wo wir im Erdgeschoss eine Bar einrichteten, um eine Verdienstmöglichkeit zu haben. Die Schwestern führten die Weba-Bar, ich ging aber trotzdem noch auswärts arbeiten, da die Bar allein für uns alle nicht genügend Geld zum Leben einbrachte. Zenzl war eine hervorragende Konditorin und ihr selbst gemachtes Eis und ihre Torten waren weitum berühmt. Mein Sohn wuchs in dieser Zeit bei meinen Schwestern auf, ich besuchte ihn aber, so oft es ging. Heute lebt er mit seiner Familie weit weg von mir, in Holland – und doch ist er mir immer ganz nah. Und ich bin noch für ihn da. Mein Sohn hat auch viel mitgemacht, seine Frau ist verstorben. Viel für ihn tun kann ich nicht, aber ich bete täglich für ihn und seine Kinder. Auf das vertraue ich.

Wann kamen Sie wieder nach Luttach zurück?
Erst als ich in Rente ging. Meine Freude zu den Bergen entdeckte ich bereits in St. Christina im Grödental, wo ich einen langjährigen Arbeitsplatz hatte. Und diese Freude zum Wandern und Bergsteigen konnte ich in meinem Ruhestand in besonderer Weise vertiefen und genießen. Mit 97 ging ich allein mit meinem Hund auf den Schönberg (2.273 m) in Weißenbach, das war meine letzte, größere Bergtour. Hunde waren mir immer lieb, sie helfen dir über viel Leid hinweg, oft mehr, als es ein Mensch tun könnte. Heute noch mache ich meinen täglichen Spaziergang an der frischen Luft.

Wie sehen Sie die heutige Zeit?
Es wundert mich, dass in der heutigen Zeit gar einige Menschen, die in diesem Wohlstand leben, so unzufrieden sind. Früher gab es nicht all die sozialen Unterstützungen jeder Art, wie wir sie heute kennen. Wir lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen – waren aber zufrieden, weil wir es nicht anders kannten.

Wie fühlt man sich mit 100?
Ich bin nicht jung, bin alt – und trotzdem fühle ich mich nicht alt. Ich bin zufrieden und der Herrgott scheint es mit mir auch zu sein. (lacht) Ich habe ein gutes Verhältnis zum Herrgott, er lässt mich nie im Stich, jeden Tag danke ich ihm für alles, auch für die Schattenseiten. Es war wirklich nicht immer leicht im Leben. Aber ich hatte ein schönes Leben. Ich bin einfach nur zufrieden. (IB)