Areal Bozen: RFI baut Bahnhof selbst
7. Juli 2023
Pfunders Neuer Festplatz für die Dorfgemeinschaft
14. Juli 2023
Alle anzeigen

Lebenswertes Südtirol

Was in ihrem Leben beurteilen die Südtiroler:innen als positiv, was als negativ? Auf diese Fragen hat das Kompetenzzentrum Tourismus und Mobilität der Freien Universität Bozen in Zusammenarbeit mit dem Landesressort Tourismus in der Studie „Lebensraumqualität Südtirol“ Antworten geliefert.

„Eine Studie zur Wohnort-Lebensqualität in der Wahrnehmung der Südtiroler Bevölkerung“, lautet der vollumfängliche Titel der Studie, die vor kurzem vorgestellt wurde und den Fokus auf den Einfluss des Tourismus in Südtirol legt. Der Studienleiter und Direktor des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität der Freien Universität Bozen (FUB), Thomas Bausch, erklärt bei der Vorstellung, dass der Blick der Südtiroler:innen auf den Tourismus durchwegs differenziert und keine Schwarz-Weiß-Malerei sei, wie oft angenommen wird. Die Studie zeigt, dass jede:r dritte Südtiroler:in den Einfluss des Tourismus auf die verschiedenen Lebensbereiche „teils positiv/teils negativ“ bewertet. Ein weiteres Drittel schätzt den Tourismus für Südtirol „eher positiv“ ein und mit „überwiegend positiv“ bewerteten 18,9 Prozent den Einfluss des Tourismus auf die Lebensqualität in Südtirol und 13,1 Prozent mit „überwiegend negativ“. Der Tourismus ist im Leben der meisten Südtiroler:innen präsent, dass sie ihn „nie oder selten spüren“ gaben nur 17,7 Prozent der Befragten an.

Zwischen Wahrnehmung und Realität viel Spielraum
Grundsätzlich positiv sei der Tourismus in der Wahrnehmung der Studienteilnehmenden aus wirtschaftlicher Sicht. Negative Auswirkungen machten die Befragten hingegen in den Bereichen Natur und Umwelt, Mobilität, Wohnraum und Lebenshaltungskosten aus. Dass der Verkehr zugenommen habe, der Wohnraum zunehmend knapper und teurer werde und dass das Leben in Südtirol grundsätzlich mehr koste, seien Tatsachen, so Bausch: „Das ist sicherlich nicht allein auf den Tourismus zurückzuführen. Während in den letzten 20 Jahren die Zahl der Übernachtungen um neun Millionen auf 34,3 Millionen gewachsen ist, ist auch die Bevölkerungszahl um knapp 70.000 angestiegen.“ Anzumerken sei, dass Südtirol statistisch gesehen in Europa eines der Länder mit der höchsten Fahrzeugdichte sei. Ein Blick nur auf Verkehrsdaten des Pustertals zeige, dass „heute im November gleich viel Verkehr ist wie vor 15 Jahren um die Mittsommertage“. Allein diese Zahl belege, dass zwischen Wahrnehmung und Realität viel Spielraum sei, merkte Bausch an. „Diese Studie sollte alle zum Nachdenken und Handeln anregen. Politiker:innen können für verschiedene Lebensbereiche die Rahmenbedingungen zu Verbesserungen und Problemlösungen setzen. Aber ohne Mitwirken der einheimischen Bevölkerung wird es nicht gelingen, die erkannten Defizite zu beheben“, ist Studienleiter Bausch überzeugt.

„Klein strukturiert und qualitativ hochwertig“
„Wir möchten diese Studie als Basis sehen, einige Zahlen zu vertiefen“, sagte Landesrat Arnold Schuler bei der Vorstellung der Studie. Es sei nämlich nicht davon auszugehen, dass „weniger Tourismus alle Probleme löst“. Allerdings zeigt die Studie deutlich, dass nach Einschätzung der Befragten die Grenze der Tourismusentwicklung nahezu erreicht ist: Nur 7,4 Prozent der Studienteilnehmenden gaben an, sich eine Weiterentwicklung zu wünschen, 43,8 Prozent wünschen sich weniger, 43,3 Prozent gleich viel Tourismus. „Die von uns angestrebte Regulierung der Bettenanzahl geht genau in diese Richtung. Wo bereits viele Gästebetten angeboten werden, sollen die Spielräume für weitere Angebote zwar nicht völlig fehlen, aber der Rahmen wird deutlich sein. In touristisch weniger entwickelten Orten werden wir weiterhin Möglichkeiten für zusätzliche Angebote geben. Südtirols Tourismus soll aber auch in Zukunft klein strukturiert und qualitativ hochwertig bleiben“, so der Landesrat.

Das Pustertal im Fokus
Die HGV-Bezirksobfrau Pustertal/Gadertal Judith Rainer beurteilt die Studie als „höchst interessant“ und auch „fundiert“. Auf das Pustertal heruntergebrochen steche die Akzeptanz des Tourismus im Gadertal, die sehr hoch ausgefallen ist, vor allem ins Auge. Die Studie belegt, dass in den ladinischen Gebieten, vor allem im Gadertal, die Befragten angaben, in ihrem Leben den Tourismus sehr stark zu spüren, ihm aber durchwegs positiv gegenüber zu stehen. „Dieses Ergebnis ist natürlich sehr erfreulich und bestätigt die Wichtigkeit und den Wert unserer Arbeit“, sagt die HGV-Bezirksobfrau. Das Gadertal sei seit je her eine Urlaubsdestination, die nicht nur mit und von dem Tourismus lebe, sondern sich auch damit identifiziere und eine sehr hohe Qualität biete, zudem falle hier der Durchzugsverkehr – abgesehen vom „Pass-Tourismus“ – weg, was für die Einheimischen eine große Entlastung darstelle. Dass die Ergebnisse der Akzeptanz in anderen Destinationen des Pustertals, wie zum Beispiel in der Drei-Zinnen-Region, nicht so erfreulich sind, kann die Obfrau nachvollziehen, bemerkt jedoch, dass es aufgrund des Ausflugstourismus zu dieser Anhäufung von Gästen komme, von denen sich die Einheimischen dann gestört fühlen. „Würden nur jene Urlaubsgäste, die Vorort in den Beherbergungsbetrieben nächtigen und der Region auch die Wertschöpfung bringen, in diesen Gebieten unterwegs sein, würde die Akzeptanz sicherlich eine höhere sein“, ist Judith Rainer überzeugt.

HGV-Bezirksobfrau Pustertal/Gadertal,Judith Rainer.

Zu viel Verkehr
Die Verkehrsintensität und die Umwelt würden laut Studie vom Tourismus negativ beeinflusst, finden über die Hälfte der Befragten. Die HGV-Bezirksobfrau findet auch hier klare Worte: „Der Verkehr, wie wir ihn im Pustertal haben, ist meiner Meinung zu einem großen Teil auch hausgemacht. In ganz Europa gibt es pro Haushalte nicht so viele Autos, wie in Südtirol, was die Studie auch bestätigt. Deshalb haben wir einen großen eigenen Handlungsbedarf auf das Auto, so gut es geht, zu verzichten“. Hier zitiert die Obfrau eine andere Studie, die belege, dass vier Prozent des Schwerverkehrs als Durchzugsverkehr und der Rest als Zielverkehr, also als Zubringer für Industrie, Handel und Handwerk gelten. Die Politik sei bemüht das Verkehrsnetz so gut wie möglich auszubauen, was sehr wichtig ist. Auch der Ausbau der Schiene sei maßgeblich. Die Umsetzung dieser Lösungen bräuchte allerdings ihre Zeit und bis dahin bleibe das Problem mit dem Verkehr präsent.

Zu hohe Immobilienpreise und Mieten
Im Bereich der Siedlungsentwicklung, Wohnen und Ortsgestaltung werden in der Studie kritische Stimmen laut. Hier überwiegen in allen Fragestellungen die negativen oder teilweise negativen Bewertungen. Mit über 80 Prozent werden die Preise der Immobilien zum Kauf als besonders negativ und die Höhe der Mieten eingestuft (knapp 70 Prozent). Auch die Möglichkeit, ein Eigenheim zu errichten, die verfügbaren Immobilien zum Kauf und die Verfügbarkeit von Mietwohnungen werden von über der Hälfte der TeilnehmerInnen negativ gesehen. 56 Prozent der Befragten gaben an, dass Immobilienpreise und Mietpreise vom Tourismus negativ beeinflusst werden. „Diese Ergebnisse sind leider Fakten. Die Nachfrage bestimmt hier den Preis“, betont Judith Rainer. Hier sei die Politik gefragt, um Lösungen zu finden. Dazu komme noch die Zweitwohnungsproblematik, wo ebenfalls politische Entscheidungen dringend gefordert sind, kritisiert die Obfrau. Die aktuelle Studie vom Studienleiter und Direktor des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität der Freien Universität Bozen (FUB), Thomas Bausch, sei eine „authentische und fundierte Grundlage und damit ein „wertvolles Dokument“. Die Studie habe nicht nur für Überraschungen gesorgt, sondern werde sicher dazu beitragen, dass die ständigen Diskussionen und Polarisierungen der letzten Jahre, bei denen der Tourismus oft als alleiniger Sündenbock hingestellt wurde, jetzt sachlicher geführt werden können, ist die Bezirksobfrau überzeugt.

Landesrat Arnold Schuler und Studienleiter  Thomas Bausch (FUB) haben die Studie zur  Wohnort-Lebensqualität in der Wahrnehmung der Südtiroler Bevölkerung vorgestellt. (v.l.)

Grenze erreicht
Die Studie zeigt auch auf, dass sich nur 7,4 Prozent der Studienteilnehmenden eine Weiterentwicklung des Tourismus wünschen, 43,8 Prozent wünschen sich weniger, 43,3 Prozent gleich viel Tourismus. Judith Rainer zeigt durchaus Verständnis für diese Ergebnisse, merkt jedoch an, dass auch wir Einheimischen oft vergessen, dass auch wir im Urlaub Touristen sind und dieselben Wünsche und Freiheiten hätten wie jene, die in unser Land kommen. Es sei jedoch unbestritten, dass sich in der Hochsaison in ganz Südtirol zu viele Menschen such an bestimmten Orten aufhalten und hier angesetzt werden müsste. Die Regulierung der Gästezahlen sei hier die Maßnahme, die Judith Rainer anspricht. „In vielen Orten auf der Welt ist es mittlerweile notwendig, sich vorher anzumelden, um das Gebiet besuchen zu können. Warum dann nicht auch bei uns. Für die einheimische Bevölkerung braucht es aber Ausnahmen“, so die Bezirksobfrau.

Bewertung von Umwelt und Natur
Laut Studie wird der Zustand des den Ort umgebenden Naturraums und der Kulturlandschaft in Südtirol durchwegs positiv beschrieben. Jeweils 72 Prozent geben diesen die Note gut bis sehr gut und fast 90 Prozent eine positive Bewertung. Ähnlich gut werden die Bemühungen vor Ort, die natürlichen Ressourcen zu schützen und zu erhalten, bewertet. Für knapp die Hälfte der Teilnehmer:innen sind diese gut bis sehr gut und für knapp 70 Prozent positiv. Die Bemühungen der Tourismusbetriebe werden mit 17 Prozent im dunkelroten und roten Bereich und mit 30 Prozent im negativen Bereich am schlechtesten bewertet. Dazu die Bezirksobfrau: „Auch hier: Die Ergebnisse sind zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Generell möchte ich betonen, dass das Engagement in punkto Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch ein langfristiges sein muss und vor allem alle betrifft. Fakt ist, dass der Sektor Tourismus der einzige Sektor in Südtirol ist, der sich einem Nachhaltigkeitsmonitoring auf Betriebs- und Destinationsebene unterzieht. Bis die Auswirkungen für Gast und Bevölkerung sichtbar werden, wird es noch etwas dauern. Hier sind wir aber auf einem richtigen Weg.“

TL/unibz