

Südtirol – Unsere Vorfahren lebten im Einklang mit der Natur: Pflanzen sicherten das Überleben und wurden in Ritualen, als Heilkraut und als Opfergabe wertgeschätzt.
Renate Trebo Leidhold, Kräuterpädagogin und Forscherin für ganzheitliche Frauengesundheit, spricht im Interview über die Pflanzen der Wintersonnenwende, ihre Kräfte und Geschichten.
Im Advent und in der Weihnachtszeit gibt es Bräuche und Riten, die schon unsere Vorfahren gepflegt haben. Lange bevor es christliche Bräuche gab, sind die alten Riten aus den Rhythmen von Sonne, Mond und Sternen entstanden. „Brauchtum entstand, weil die Menschen es gebraucht haben“, sagt Kräuterpädagogin Renate Trebo Leidhold und „viele Kräuter sind eng mit diesen Festzeiten verbunden: Im Antholzer- und Gsiesertal ist es zum Beispiel bis heute Brauch, an den Weihnachtsfeiertagen mit Meisterwurz zu räuchern. Zudem wurde Stall und Hof in dieser Zeit mit Brennesseln gereinigt. In der Volksheilkunde wurden Anfang des letzten Jahrhunderts Räume mit getrocknetem Kuhdung desinfiziert und ein alter Zauber war, mit Salz im Herdfeuer zu räuchern, um die armen Seelen zu besänftigen“, erzählt Renate Trebo Leidhold.
Allgegenwärtige Natur
Die Natur sicherte für unsere Vorfahren das nackte Überleben: „Mit Pflanzen und Tieren bildete sie ein Netzwerk, in das der Mensch eng eingebunden war. Die gesamte Natur galt als beseelt und die Pflanzen sicherten das Überleben des Menschen. Mensch und Natur lebten im gegenseitigen Austausch. Opfergaben sollten zum Beispiel das Wetter milde stimmen und Ernteausfälle abwenden, um den Winter gut zu überstehen. Das Wissen über die Pflanzen wurde vorwiegend mündlich von einer Generation auf die nächste oder von einer Sippe zur anderen überliefert“, berichtet Renate Trebo Leidhold. Kinder lernten von ihren Müttern und Großmüttern und kamen im Alltag mit den Pflanzen, ihren Kräften und ihrem Brauchtum in Berührung.
Altes Pflanzenwissen
Für die Kräuterpädagogin sind die Königskerze, der Beifuß, der Wacholder, die Blutwurz, die Schafgarbe, die Brennessel und alle Wegerich- und Beifußgewächse jene Heilpflanzen, die bereits im Mittelalter für den alltäglichen Gebrauch im Haus vorrätig waren und in der Natur gesammelt wurden. Im Spätmittelalter erlangten, durch den zunehmenden Kulturaustausch, auch südländische Kräuter, wie die Kamille, der Salbei, die Minze, die Lindenblüten, der Rosmarin und der Frauenmantel, in unseren Breitengraden an Bedeutung. „Die Klostergärten waren die ersten Anbauflächen, wo Heilpflanzen in größeren Mengen angebaut und verarbeitet wurden. Die Pflanzen wurden entweder für Tees getrocknet oder mit Essig verarbeitet, da das Wasser meist verunreinigt war. Heilessige waren sehr weit verbreitet und wurden zur Reinigung als Desinfektionsmittel verwendet. Aus Butterschmalz, mit Kräutern vermischt, wurden Salben angerührt und mit getrockneten Pflanzen wurde geräuchert. Das Räuchern wurde zum Desinfizieren und Reinigen von Kleidern und Räumen verwendet, ja sogar der ganze Körper wurde durchgeräuchert, um sich vor lästigen Läusen und anderem Ungeziefer zu schützen. Die Lagerung der Pflanzen war einfach, da jeder einen Dachboden besaß, wo die Kräutersträuße auf der Wäscheleine aufgehängt oder die losen Kräuter zum Trocknen ausgelegt wurden“, weiß Renate Trebo Leidhold.
Pflanzen der Wintersonnenwende
Beifuß (Artemisia vulgaris) Mythologie
Der Beifuß – auch Mugwurz genannt – gehört zu den ältesten Ritual- und Heilpflanzen der Menschheit. In der Mythologie steht er in Verbindung mit Artemis, der Göttin der Jagd, der Fruchtbarkeit und des Mondes. Als Mondgöttin trägt Artemis den Halbmond wie eine Krone auf dem Haupt und bringt Licht und Liebe in die dunkle Zeit. Zur Sommersonnenwende flochten Frauen und Männer Sonnwendgürtel aus Beifuß, sprangen über das Feuer und erneuerten dadurch ihre Lebenskraft. Der Rauch des Beifußes sollte reinigen, schützen und wärmen. Er galt als starke Pflanze für Übergänge – etwa vom Alten ins Neue Jahr, vom Leben in den Tod oder vom Mädchen zur Frau.
Heilkunde
Sitzbäder mit Beifuß bringen Wärme in den Unterleib, fördern die Durchblutung und stärken die Empfängnisfähigkeit. Fußbäder mit Beifuß sind erfrischend, belebend und wärmen zugleich. Als Tee, Tinktur oder beim Räuchern reinigt Beifuß den Körper von innen und außen. Seine Bitterstoffe regen Leber, Galle und Verdauung an und bringen den gesamten Organismus in Schwung. Beifuß gilt als heimisches „Echinacen“, weil seine Kräfte so vielfältig sind. Schon in alten Rezepten wurden Martins- und Weihnachtsgänse mit Beifuß gefüllt, um sie leicht verdaulicher zu machen. In Asien wird er bis heute als Moxakraut verwendet: Beim Moxen wird getrockneter Beifuß über Akupunkturpunkten abgebrannt, um die Energieflüsse des Körpers zu harmonisieren.
Brauchtum
Beifuß war eine der wichtigsten Pflanzen bei Sonnwendfeuern und in Räucherungen während der Rauhnächte. Er galt als schützender Begleiter auf Reisen und wurde oft in kleinen Bündeln am Gürtel getragen. Als „Machtwortkraut“ half er, Mut und innere Stärke zu finden, und symbolisierte Reinigung und Neubeginn.
Fichte (Picea abies) Mythologie
Die Fichte ist ein immergrüner Lichterbaum, Symbol für Ausdauer, Lebenskraft und Schutz. In ihr wohnt, so erzählt man, ein mütterlich-schützender Baumgeist. In der germanischen Tradition war sie ein heiliger Baum, der für Licht und Leben stand. Karl der Große ließ ihre Verehrung verbieten, um den alten Glauben zu brechen – doch sie blieb lebendig, in Maibaum, Weihnachtsbaum und Adventkranz.
Heilkunde
Das Fichtenharz verschließt die Wunden des Baumes – somit heilt er auch unsere Wunden, z.B. in Salben oder Räucherwerk wirkt er wundheilend, beruhigend und herzöffnend. Der Duft klärt den Geist, fördert tiefe Atmung und bringt Licht in dunkle Gedanken. Die Fichtenspitzen, übers ganze Jahr gesammelt, ergeben einen frischen Tee oder Sirup, der bei Erkältungen hilft, Schleim löst und die Atemwege stärkt. Getrocknet und gemahlen verleihen sie Suppen und Eintöpfen eine würzige Note.
Brauchtum
Ein mit Fichtenzweigen geschmücktes achtspeichiges Rad war Symbol des Sonnenlaufs – daraus entwickelte sich unser Adventkranz. Der Weihnachtsbaum war ursprünglich eine Fichte, die man im Wald mit Äpfeln, Gebäck und Kerzen schmückte – als Zeichen der Hoffnung auf das wiederkehrende Licht. Noch heute begleitet uns ihr Duft und das Immergrün durch die Weihnachtszeit – als Sinnbild für Licht und Geborgenheit in dunklen Tagen.
Mistel (Viscum album)Mythologie
Die Mistel wurde seit Urzeiten als heilige Pflanze verehrt. Nach keltischer Überlieferung schnitt man sie am sechsten Tag nach Neumond in der Vorweihnachtszeit – ein Ritual, das nur mit goldener Sichel vollzogen werden durfte. Sie galt als Glücksbringer und als Schutz vor Giften. Ihr immergrünes Laub mitten im Winter zeigte den Sieg des Lebens über den Tod. Beim Trocknen verfärbt es sich golden – Sinnbild für das wiederkehrende Sonnenlicht.
Heilkunde
Die Mistel wächst auf Bäumen mit starker Ausstrahlung – Apfel, Eiche oder Pappel – und galt als Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Man schrieb ihr die Fähigkeit zu, Strahlung abzuschirmen und harmonisierend auf Körper und Seele zu wirken. In der modernen Medizin wird sie als begleitendes Mittel in der Krebstherapie eingesetzt. In der anthroposophischen Heilkunde achtet man auf den Wirtsbaum: Die Apfelbaum-Mistel steht für das Weibliche und findet Anwendung bei Brustkrebs, die Eichenmistel dagegen eher bei männlichen Leiden.
Brauchtum
Man hängte Mistelzweige über Türen und Stalltore, um Segen und Fruchtbarkeit zu sichern. Als Tarnkraut sollte sie unsichtbar machen, wenn man unerkannt bleiben wollte. Man glaubte, Misteln wüchsen dort, wo Engel oder Hexen sich auf Ästen ausruhen. Ein Kuss unter der Mistel symbolisierte Frieden und Glück.
Holunder (Sambucus nigra) Mythologie
Der Holunder – auch Holler genannt – war der heiligste Baum in Mitteleuropa. In seinem Wurzelreich wohnte die Mutter Holle, Göttin der Unterwelt und Hüterin des Lebens. Brunnen, Teiche und Quellen galten als Eingänge zu ihrem Reich. Ihr Name bedeutet „die Strahlende“. Sie verbindet Hell und Dunkel, sichtbar in ihren weißen Blüten und tiefroten Beeren. Der Holunder erinnert uns an das Urvertrauen ins Leben und an den Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Schon die Römer schnitzten aus dem weichen Mark der Zweige Flöten, um den Ton des Lebens erklingen zu lassen. Frauen gingen mit ihren Neugeborenen zum Holunderbaum, um das Kind der Göttin zu zeigen und ihren Segen zu erbitten. Auf Friedhöfen pflanzte man ihn über den Gräbern – als Wegweiser für die Seelen in die Anderswelt.
Heilkunde
„Holunder Hut herunter“ – ein alter Spruch aus bäuerlicher Zeit. Ein warmer Trunk aus Holunderbeeren stärkt die Abwehrkräfte, besonders im Winter, und wurde am Heiligen Abend getrunken. Der Saft, auf Herpesbläschen getupft, beschleunigt die Heilung. Die Blüten wirken schweißtreibend, lösen Fieber, befreien die Atemwege und vertreiben Kopfschmerzen. Rinde und Früchte dienen als mildes Abführmittel. Ein Tee aus sieben Blättern reinigt das Blut, 77 Blattspitzen im Wasser aufgebrüht sollten Fieber senken. Beim Räuchern befragte man den Holunder nach Rat und Heilung. Nach Geburten vergrub man die Nachgeburt unter dem Baum – als Dank an die schöpferische Mutterkraft.
Brauchtum
Unter einem Holunder sollte man nicht rasten – dort, so glaubte man, wohnt die Holla. Beim Durchqueren des Hofes zog man den Hut vor ihm, um seinen Schutz und Segen zu erbitten. In vielen Höfen gilt noch heute: Wo ein Holunder wächst, da ist das Haus gesegnet.
Wacholder (Juniperus communis)
Juni-perus = für immer jung
Mythologie
Der Wacholder, auch Kranebitt oder Ruchholder genannt, wurde als weiblicher Baum verehrt und galt als Symbol für Reinigung und Erneuerung. Seine Beeren brauchen drei Jahre zum Reifen – Sinnbild für Leben, Tod und Wiedergeburt. Er galt als Jungbrunnen und stärkt besonders in der kalten Jahreszeit den Körper. Auf seelischer Ebene verbindet der Wacholder uns mit unserer Ahnenlinie – mit unseren Wurzeln.
Heilkunde
Wacholder war das Desinfektionsmittel der Vorfahren. Im Himalaya bedeutet das Wort für „Wacholder“ und „Räucherung“ dasselbe. Die Beeren regen die Verdauung an, aktivieren die Nieren, reinigen den Körper von Bakterien, Viren und Stoffwechselrückständen und stärken die Abwehrkräfte. Zugleich wirken sie konservierend: Fleisch und Fisch, die mit Wacholder behandelt wurden, blieben länger frisch.
Brauchtum
In Südtirol war es Brauch, am Martinitag (11. November) Wacholderzweige zu schneiden und damit Kühe, Pferde und Ziegen zu segnen. In den Rauhnächten wird er bis heute verräuchert; Säuglinge hielt man kurz über den Rauch, um sie zu reinigen und zu beruhigen. Auch zu Pfingsten, Walpurgis, in den Rauhnächten und in der Weihnachtszeit gehörte der Wacholderrauch ins Haus. Der Wacholder war dem Heiligen Rochus geweiht, dem Schutzpatron gegen Pest und Seuchen. Zum Räuchern mischte man Wacholderbeeren mit Engelwurz, Bibernell und Baldrian – eine kraftvolle Mischung zum Schutz von Haus und Hof.
Farn (Dryopteris Arten) Wurmfarn
Mythologie
Der Farn war in alten Zeiten eine Zauberpflanze. Er galt als Bestandteil vieler Heilmittel und Rituale und wurde wegen seiner unsichtbaren Wirkung hoch geschätzt. Wo Farn wächst, sind Orte der Stille und des Übergangs. Zur Sommersonnenwende glaubte man, der Farn entfalte seine magische Blüte. Wer in dieser Nacht den Farnsamen fand, sollte unsichtbar werden oder Glück und Reichtum erlangen. Ein Amulett aus Farnwurzel, zur Wintersonnenwende gegraben, schützte vor Verwundung und Krankheit. Farnwedel galten als Schutz gegen dunkle Mächte und sie riefen die Engel an in langen Winternächten. Auch versprachen sie Glück, Wohlstand, Liebe und Kindersegen.
Heilkunde
Der Wurmfarn wurde früher gegen Bandwürmer eingesetzt, doch seine starke Wirkung machte ihn gefährlich – heute wird er innerlich nicht mehr verwendet außer in der Homöopathie. Im Volksglauben hieß es: Das Farnkraut hält alles frisch, was darauf gelagert wird – Käse, Quark, Äpfel oder Birnen blieben länger haltbar. Fischer legten ihren Fang darauf, damit er nicht verdarb, Bauern legten ihre Butter und den Topfen darauf. Wer im Wald übernachtete, deckte sich mit Farnwedeln zu – sie hielten warm. Getrocknete Wedel, in Kissen gestopft, linderten Ischias, Rückenschmerzen und Wadenkrämpfe. Unsere Vorfahren stopften sogar ihre Strohmatratzen mit Farn – für Wärme, Weichheit und Schutz.
Brauchtum
Zur Johannisnacht legte man Farnkraut in Haus und Stall, um böse Geister fernzuhalten. Es wurde auch als Schutzkraut bei Geburten und Hochzeiten verwendet. Bis heute steht der Farn in Volksmärchen für Geheimnis, Glück und die Kraft des Neubeginns.
Kontakt Renate Trebo: renatetrebo@yahoo.de
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