Lukas Troi aus St. Johann
13. März 2018
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Über das Ahrntal

Teil 1 – Das von der Ahr durchflossene Tal, das bei Bruneck ins Pustertal mündet, hat zwei Namen. Von seinem Ursprung an der Birnlücke bis zum Schloss Taufers heißt es Ahrntal, von dort bis Bruneck Tauferer Tal. Es verläuft von Prettau bis Luttach in südwestliche Richtung und biegt dann in südliche Richtung ab. Die Talstraße von Kasern in Prettau bis nach Sand hat eine Länge von 26 Kilometern, von Sand nach Bruneck sind es dann noch einmal etwa 15 Kilometer.

 

 

Das Ahrntal ist auf zwei Gemeinden aufgeteilt. Prettau, der nördlichste Ort des Tales, ist seit 1958 eine eigene Gemeinde. Die Ortschaften St. Peter, St. Jakob, Steinhaus, St. Johann, Luttach und Weißenbach bilden die Gemeinde Ahrntal, deren Sitz sich in Stein- haus befindet. Die Struktur des Tales ist einmal von der Geologie bestimmt und dann von seiner Lage zur Sonne. Die orografisch rechte Talseite gehört zur Zentralgneiszone der Zillertaler Alpen. Sie ist einerseits durch die von den Gletschern herabfließenden Bäche ziemlich regelmäßig gegliedert, ist aber doch  wilder und zerklüfteter als die zur Schieferhülle gehörende linke Talseite, die infolge des leichter verwitternden Schiefers einen geschlosseneren und verwachseneren Eindruck macht. Dass die rechte Talseite einst viel intensiver gerodet wurde und daher heute mit viel mehr Höfen bestückt ist, verdankt sie der Sonnenexposition, die nicht nur dem Gedeihen der Felder zuträglich ist, sondern auch das menschliche Wohnen angenehmer macht. Auf der Schattenseite – schouzat, wie die Ahrntaler sagen – herrschen Wälder vor, und die Menschen, die dort wohnen, warten länger auf die Sonne und sehen sie früher untergehen.
Man sieht es dem von zahlreichen Dreitausendern umgebenen, engen  Ahrntal nicht an, dass die zwischen diesen hohen Bergen liegenden Jöcher einst viel benutzte Übergänge waren, über die zahlreiche Reisende und Lastträger vor allem ins Zillertal und in die Krimml gingen oder von dort kamen. Auch die jenseits des Alpenhauptkammes gelegenen Almen, die Ahrntaler Bauern gehören, erreichte man einst ausschließlich über diese Jöcher. Zu ihnen gehören das Hörndle (2592 m), das Mitterjoch (2634 m), die Hundskehle (2561 m) und das Heiliggeist Jöchl (2678 m), die alle ins Zillertal führen, und der Krimmler Tauern (2634 m). Die Übergänge, die über das Umbaltörl und das Merbjoch nach  Virgen und Defreggen in Osttirol führen, wurden – wie die Jöcher im äußeren Ahrntal – seit jeher weniger begangen als die Übergänge über die Zillertaler Alpen, wohl auch weil sie um einige hundert Meter höher liegen.

Zur Besiedlung des Ahrntales
Betrachtet man die geografische Lage des Ahrntales, kommt man zum Schluss, dass sie für dessen frühe Besiedlung alles eher als günstig war. So sind denn auch Siedlungsspuren aus der Steinzeit gar nicht und aus der Bronze- und Eisenzeit kaum vorhanden. Die archäologischen Funde, die seit den 1960er Jahren am Schönbühel in St. Johann gemacht wurden und die der Mittleren Bronzezeit (1500-1300 v. Chr.) zugeordnet werden, bestätigen menschliche Siedlungen, reichen aber nicht aus, um deren Kontinuität über eine längere Zeit zu beweisen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Ahrntal erst mit der Einwanderung der Bayern zum Dauersiedlungsgebiet wurde. Das dürfte nicht vor dem 9. Jahrhundert geschehen sein, bedenkt man, dass die Landnahme durch die Bayern im Raume Pustertal wohl kaum vor dem 8. Jahrhundert einsetzte und sich dann über eine längere Zeit erstreckte. Die ersten schriftlichen Nennungen der verschiedenen Ortschaften am Nordrand des Brunecker  Beckens sind wichtige Hinweise auf den Ablauf der bayrischen Besiedlung. Dietenheim, Aufhofen und St. Georgen reichen ins 9. Jahrhundert zurück, Gais und Uttenheim sind dann im späten 10. Jahrhundert erstmals genannt. Taufers (Tufres) und Ahrntal (Ourin) folgen dann um die Mitte des 11. Jahrhunderts ungefähr gleichzeitig. Natürlich ist zu beachten, dass die erste schriftliche Erwähnung der Orte nicht mit der Ansiedlung der bayrischen Einwanderer zusammenfällt, sondern diese wahrscheinlich ein oder zwei Jahrhunderte früher erfolgte.
Das Ahrntal (vallis quod dicitur Aurina) ist in der Urkunde aus dem Jahre 1048 erstmals genannt, mit der Kaiser Heinrichs III. (1039-1056) dem Bischof Poppo von Brixen (1039-1048) die Schenkung eines Waldes bestätigte, der zwischen dem Gsieser- und dem Ahrntal lag. Einige Jahrzehnte später ist dann der erste Hof erwähnt, den der edle Dienstmann Heinrich dem Bischof von Brixen schenkte: praedium … quale habuit in Ourin in loco, qui dicitur Rora (ein Landgut, das er in Ahrn hat an einem Ort, der Rora genannt wird).
Es ist anzunehmen, dass es sich bei Rora um den Urhof am Rohrberg handelte, der später dann in mehrere Höfe aufgeteilt wurde, was sicher mit Rodungsarbeiten einherging. Noch einmal gut hundert Jahre später kam dann der erste Ahrntaler zu schriftlichen Ehren: der Geistliche Wernherus von Oueren (Ahrn), nicht Pfarrer in Ahrn allerdings, sondern Domherr zu Brixen, bestätigte zusammen mit zwei Brüdern Stiftungen für das Domkapitel und für das Heilig-Kreuz-Spital dort.

Die Grundherrschaft als Basis des früheren bäuerlichen Lebens
Die Menschen, die sich am Beginn des Mittelalters in dem Lande niederließen, das später Tirol genannt wurde, waren gezwungen, von dem zu leben, was sie dem Lande mit ihrer Hände Arbeit abgewinnen konnten. Der allergrößte Teil von ihnen lebte von der Landwirtschaft. Diese war anders strukturiert als heute. Der Bauer war nicht der Besitzer des Bodens, den er bearbeitete, sondern hatte diesen von jenen verliehen bekommen, die ihn besaßen, aber nicht selber bearbeiten konnten oder wollten. Der eigentliche Herr über den von einem germanischen Stamm eroberten Grund und Boden war der Anführer des Stammes, der normalerweise als Herzog  bezeichnet wurde. Dieser stattete nach erfolgter Inbesitznahme des Landes seine Unterführer mit größeren Landanteilen aus, die diese dann wiederum aufteilten und an Bauern weitergaben, welche darauf einen Hof erbauten und die Felder bearbeiteten, die ihnen all das lieferten, was sie zum Leben brauchten. Den Bauern wurde das Land keineswegs kostenlos überlassen. Sie mussten an jene Grundherren, denen Grund und Boden gehörte, auf dem sie leben und arbeiten durften, den Grundzins zahlen, der aus Naturalien oder Geld bestand. Vielerorts mussten die Bauern auch Frondienste auf jenen Höfen leisten, welche die Grundherren selbst bearbeiteten. Diese Wirtschaftsform nannte man später die Grundherrschaft. Sie ähnelt an sich der Pacht, aber die Bindungen, die zwischen dem Grundherrn und seinen Bauern bestanden, waren viel enger als sie es normalerweise zwischen Pachtherrn und Pächtern sind. So legte der Grundherr nicht nur die Höhe und die Art des Grundzinses fest, sondern übte über seine Grundholden meist auch die niedere Gerichtsbarkeit aus, erteilte ihnen die Heiratserlaubnis und griff auch sonst auf vielerlei Art und Weise in ihr Leben ein. In manchen Gegenden verschärften sich die Lebensbedingungen, denen die einer Grundherrschaft angehörenden Bauern ausgesetzt waren, dermaßen, dass die Bauern ihren Herren geradezu hörig wurden, was dazu führte, dass sie ihre Höfe nicht mehr verlassen durften und so regelrecht an die Scholle gebunden waren. Das war vor allem in Osteuropa der Fall. An anderen Orten – und dazu gehörte Tirol – gelang es den Bauern hingegen, ihre Rechte im Laufe der Zeit zu verbessern. So mussten die Grundherren den Bauern die Erblichkeit ihrer Güter zugestehen, sodass ein Bauerngut vom Vater auf den Sohn vererbt werden konnte und der Familie erhalten blieb. Auch wurde das Ableisten des Fron- oder Robotdienstes immer öfter in eine Geldabgabe umgewandelt, was nicht selten auch mit dem Grundzins geschah, der aus Naturalabgaben bestand. Der Vorteil dabei war, dass die Geldabgaben der Inflation unterworfen waren und diese Lasten so mit der Zeit immer geringer wurden. Das System der Grundherrschaft wurde in Österreich – und damit auch in Tirol – erst im Jahre 1848 abgeschafft. Damals wurden die Bauern wirklich selbständig.
Natürlich waren auch die Bauern des Ahrntales der Grundherrschaft unterworfen. Weil dieses System die bäuerliche Welt ein ganzes Jahrtausend lang prägte, sollen seine Auswirkungen auf das Ahrntal hier etwas genauer dargestellt werden. Die ersten grundherrschaftlichen Jahrhunderte  liegen allerdings größtenteils im Dunkeln. Bis etwa 1200 herauf kennen wir keine Grundherren, denen die Höfe des Ahrntales zuzurechnen wären. Wahrscheinlich sind sie unter den Vorfahren jener Adeligen zu suchen, die sich danach dann zu den namhaftesten Grundherren aufschwangen. So etwa die Herren von Taufers, die Herren von Luttach und die Roßpichler in Ahrn, von denen man liest, sie seien Ritter gewesen. Bei den beiden Letzteren handelte es sich um Dienstleute der Tauferer, die  zum ländlichen Kleinadel gehörten. Die Luttacher hatten ihren Sitz am Stock in Luttach, die Roßpichler zu Rastbichl in Ahrn. Ihre Lebensweise dürfte sich von der der Bauern nicht allzu sehr unterschieden haben. Weiters kommt auch der Bischof als Grundherr in Frage, denn die Kirche hatte sich diesem für die Herrschenden so vorteilhaften System schon sehr früh angeschlossen. Auch die Vögte, sprich die Grafen von Andechs und von Tirol, die vom Bischof, der ja ab 1091 auch der weltliche Herr in seiner Diözese war, zur Rechtspflege eingesetzt wurden, haben erfolgreich versucht, ihre Grundherrschaft  zu vergrößern, denn im 13. Jahrhundert, als sie bereits Landesherren geworden waren, waren sehr viele Ahrntaler Bauern ihnen gegenüber grundzinspflichtig. Von den Klöstern verfügte das Stift Sonnenburg bei St. Lorenzen in Mühlwald, in Michlreis und in Weißenbach mit über hundert Bauernhöfen über den Löwenanteil an grundherrlichem Besitz, wie das älteste erhaltene Sonnenburger Urbar (Besitzverzeichnis) aus dem Jahre 1296 ausweist.