Astree Regensberger Oberschmied aus Sand in Taufers.

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Astree Regensberger Oberschmied aus Sand in Taufers.

„Geht nicht, gibt’s nicht! Man muss immer an sich selber glauben.“

Sie ist eine coole, starke Frau mit 37 Jahren, attraktiv, leidenschaftlich, sensibel und im Zeichen des Stiers geboren. Ihre Arme zieren symbolhafte Tattoos. Das Feuer ihrer Augen brennt, auch wenn sie ein schweres Schicksal zu tragen hat. Seit 14 Jahren begleitet sie Multiple Sklerose MS wie ein dumpfer, schwellender Schatten.

Wie bedeutete für Sie die Diagnose?
Ich war 23 Jahre alt und wurde mitten aus meinem ungestümen Leben gerissen. MS bedeutete für mich nur eine Zigarettenmarke, ich konnte mir nichts darunter vorstellen. Als die Ärztin mich über die Krankheit aufklärte, war ich schon ziemlich down. Wir bekamen die ersten Symptome aber gut in den Griff und mir ging es dann physisch und psychisch recht gut. Rapide verschlimmert hat es sich 2006 nach der Geburt meines zweiten Kindes. Ich bekam Probleme, mich ohne Stock fortzubewegen und das Feingefühl schwand. Seit zwei Jahren brauche ich den Rollstuhl.

Welche Erfahrungen aus der Gesellschaft haben Sie gemacht?
Ganz schlimm war, als ich einmal mit dem Kinderwagen auf dem Gehsteig stürzte und unter ihm gefangen liegen blieb, ich war sehr schwach, mich von selbst zu befreien. Niemand half mir, Autos fuhren vorbei, man gaffte mich an. Es dauerte lange, bis ich mich schließlich selbst aufrichten konnte. Später als ich den Treppenlift montieren ließ, um in meine Wohnung im ersten Stock zu gelangen, gab es wüste Beschimpfungen seitens der Hausbewohner. Er würde zuviel Platz wegnehmen und man könne keine großen Sachen mehr durch das Stiegenhaus befördern, hieß es. Ich bin oft schockiert über die Herzlosigkeit und Respektlosigkeit von Leuten, denen Behinderte völlig egal sind, die sie nur blöd angaffen und ausgrenzen. Aber es gibt auch viele gute Menschen, wie mein Nachbar Andreas, der mir jederzeit behilflich ist.

Wie reagieren Ihre Kinder auf Ihr Schicksal?
Es war nie ein Thema. Mein ganzer Schatz sind meine zwei Söhne Dominik und Leon, sie wohnen mit mir und umsorgen mich liebevoll. Auch wenn ich körperlich behindert bin, kann ich meinen Kindern Werte vermitteln. Natürlich wünschte ich mir, sie hätten eine gesunde Mutter. Seit einem Jahr hat sich mein Mann von mir getrennt, aber wir verstehen uns gut, er unterstützt mich in jeder Hinsicht und ich arbeite immer noch im Büro seines Bestattungsunternehmens.

Ist gerade dieser Job für Sie nicht belastend?
Im Gegenteil. Ich liebe diesen Job, denn ich kann mich sehr gut in Trauernde einfühlen, zumal ich durch meine Krankheit eine Trauerspirale durchlebte und durch Höhen und Tiefen gegangen bin. Ich hab es auf meine Art und Weise verarbeitet und kann jetzt anderen mein Mitgefühl und entsprechende Worte des Trostes schenken. Es ist eine sehr schöne Arbeit.

Wie war Ihr Leben vor Ihrer Krankheit?
Nach der Mittelschule brauchte ich einige Zeit, mich zu orientieren. Ich arbeitete im Büro des Tischlereibetriebes meines Vaters, besuchte das neusprachliche Gymnasium und schließlich die Fachschule für Handel und Grafik in Bozen, die ich aber nicht abschließen konnte, da ich vor der Abschlussprüfung schwanger wurde und wegen Komplikationen ein halbes Jahr liegen musste. Mit 19 heiratete ich und mit 20 kam Dominik zur Welt. Anschließend jobbte ich in der Gastronomie, bis dann meine Krankheit kam.

Hadern Sie mit Ihrem Schicksal?
Anfangs ja, auch weil ich noch so jung war. Jetzt nicht mehr. Mir geht es trotz allem ja gut. Allein in die strahlenden Augen meiner Kinder sehen zu dürfen, zählt für mich zu den schönsten Momenten. Es ist für mich eine Bestätigung, dass mein Leben einen Sinn hat.

Wie geht es Ihnen heute?
Jeder neue Morgen, den ich begrüßen kann ist für mich ein Geschenk und auch wenn es mal weniger gut geht bin ich zufrieden, denn es könnte noch viel schlechter gehen. Ja, ich bin wirklich ein zufriedener Mensch! Sehr viel zufriedener als viele Gesunde. Wenn ich oft deren „Probleme“ höre, kann ich nur lächeln.

Haben Ihre Tattoos eine Bedeutung?
Ja, in jedem Fall. Der Tiger ist das Zeichen der Stärke, das bin ich. Das Auge drückt Emotionen aus, Fröhlichkeit, Leiden. Auf dem Oberarm ist eine Indianerfrau mit einer Feder, die Feder steht für Freiheit. Die Rose ist das Zeichen der Liebe und der Schmetterling für das Schöne. Das Äffchen ist creazy und sweet, genauso wie ich. Auf den Armen habe ich die Namen meiner Söhne, auf dem Rücken deren Sternzeichen Skorpion und Krebs und auf der Abbildung der Uhr und des Kompasses sind deren Geburtstage tätowiert. Immer wenn es mir schlecht ging, ließ mir ein Tattoo machen, um den Schmerz zu spüren. Es half mir, meine persönlichen Schmerzen zu verarbeiten.

Wie füllen Sie Ihre Freizeit?
Früher hab ich viel Sport betrieben. Heute bin ich gerne unter Menschen, gehe in Cafes, unterhalte mich und lache gern. Ich reise gerne, heuer war ich mit Leon am Meer. Die Hitze tut mir nicht gut, aber das Strahlen in seinen Augen zu sehen, hat mich alle Schmerzen vergessen lassen.

Haben Sie Angst vor der Zukunft?
Überhaupt nicht. Ich genieße das Jetzt. Was morgen kommt, weiß niemand. Ich wünsche mir nur, meine Kinder als Erwachsene auf ihrem eigenen Lebensweg erleben zu dürfen.

Sagen Sie uns Ihre Botschaft…
Mein Aufruf ist für eine Barrierefreiheit in der Architektur. Meine Botschaft hingegen, dass die Gesundheit das höchste Gut ist und dass sich alles andere im Leben relativiert. (IB)